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Bamlanivimab oder die Herausforderungen bei Markennamen

Photo by Brett Jordan on Unsplash

München, den 24.11.2020

Gedenken wir doch kurz der armen Schweine in der Marketingabteilung beim US-Pharma-Riesen Eli Lilly. Während der Rest des Unternehmens gerade die Sau rauslässt, Champagnerkorken knallen und man das neue Covid-19-Medikament feiert, stehen die armen Marketingleute in der Ecke und schämen sich.

Wir haben es alle mitbekommen: Zusammen mit der deutschen BionTech hatte Lilly erst kürzlich die Schnellzulassung von der US-Regierung erhalten, zusammen mit einem satten Auftrag über 375 Millionen US-Dollar für eine Erstbestellung von 300.000 Dosen.

Pharma-Riese Eli Lilly muss die Aussprache des neuen Covid-Medikaments erklären.

Und warum dann das Mitleid mit den Marketingleuten bei Lilly? Nun, der Verkaufserfolg scheint wohl gesichert, aber der Name dieses langersehnten Wundermittels ist nun wirklich ein Skandal: »Bamlanivimab«. Ehrlich Eli Lilly? Mehr habt ihr nicht drauf?

Damit wir alle lernen, wie man den neuen Namen richtig ausspricht, legen die Eli Lilly-PR-Profis in den Social-Media-Kanälen nach: »BAMM-laa-NIVH-ee-maab«. Lasst euch ruhig Zeit, das zu lernen. Ich werde im nächsten Absatz auf euch warten. Ihr benötigt möglicherweise einige Versuche.

In diesem Beitrag möchte ich die Geschichte hinter dem eigentlich unmöglichen Markennamen für das langersehnte, erste Mittel zum Schutz vor Covid-19 erzählen und anschließend ein paar ernstgemeinte Tipps zur Entwicklung von Markennamen geben.

Was genau steckt hinter dem Markennamen Bamlanivimab?
»BAMM-laa-NIVH-ee-maab«, war das nicht der Refrain eines Rock-n-Roll-Hits aus den 50-gern? Oder ist das nicht das köstliche serbokroatisches Dessert, das man dort stets mit Sahne serviert? Ach nein, das war doch der Schlachtruf asiatischer Kabaddi-Sportler, der dem Schiedsrichter anzeigt, dass während eines Angriffs nicht regelwidrig eingeatmet wurde? Alles falsch, Bamlanivimab ist das wahrscheinlich bedeutendste Produkt des Jahres 2020. Was die Frage aufwirft: Was hat die Entscheider bei Eli Lilly geritten, ein solch zungenbrecherisches, fünfsilbiges Monster erfinden?

Vielleicht steckt ja eine gewisse Gründerlogik hinter dem Namen; war es nicht das indische Professorenduo Bald Bamlani und Sangeeta Vimab, die die ursprüngliche Entdeckung machten, und das neue Produkt ehrt diese Schöpfer? Aber nein. Vielleicht ist der Antikörper, auf dem das neue Medikament basiert, auch als Bamlanivi-4 bekannt. Wiederum nein. Als Marketingprofis sollten wir annehmen, dass etwas so Wichtiges nicht zufällig einen so dummen Namen tragen kann. Und schon rechtfertigen sich die Lilly-Marketers auf Twitter, dass Bamlanivimab ein absichtlich dummer Name ist, der aus sehr guten Gründen geschaffen wurde.

Im Fall von Bamlanivimab haben Verschwörungstheoretiker in den sozialen Medien bereits angedeutet, dass der Name absichtlich schlecht gewählt sei, um die Medien der Welt zu zwingen, den Produktnamen zu ignorieren, sich in der Berichterstattung direkt auf Eli Lilly zu beziehen und so dem Unternehmen, das hinter der Marke steht, den ganzen gesellschaftlichen und monetären Ruhm zu verleihen. Aber auch das stimmt wohl nicht.

Die wahre Geschichte des Markennamens Bamlanivimab.
Die wahre Geschichte hinter dem aberwitzigen Namen ist wohl viel komplexer, aber auch interessanter. Pharma ist ja ein eher seriöses Geschäft, bei dem eine falsche Etikettierung oder Verschreibung eines falschen Produkts leider verheerende Folgen haben kann.

Aus einer eher kurzen Phase als Pharma-Werber weiß ich, dass pharmazeutische Arzneimittel im Laufe ihrer Entwicklung mehrere Namen bekommen, die meisten mindestens drei. Der erste Name ist der wissenschaftliche Name, der während der Testphase verwendet wird. Dieser basiert in meist auf der Verbindung oder dem Antikörper, aus dem das neue Produkt hergestellt wird. »LY-CoV555« war der ursprüngliche Name von Bamlanivimab, was bedeutet, dass es von Eli Lilly (der »LY«-Teil) als eine der möglichen Behandlungen für Covid-19 (der «CoV555«-Teil) erfunden wurde.

Sobald ein Medikament zugelassen ist, benötigt es jedoch einen generischen Namen. Und das ist, was auch »Bamlanivimab« ist. Trotz der weltweiten Gerüchte über die scheinbar ungewöhnliche Wahl des Namens gibt es wohl eine klare Logik hinter seiner Formulierung.

Zunächst einmal muss sich der Gattungsname aus einem Präfix und einem Suffix zusammensetzen. Das Präfix muss mindestens zwei Silben enthalten, um es von anderen Gattungsnamen unterscheiden zu können. Es müssen auch Buchstaben vermieden werden, die in Ländern, in denen das römische Alphabet weniger vertraut ist, zu Missverständnissen und Verwechslungen führen könnten, sodass Y, H, K, J und W in der Regel vermieden werden.

Das Suffix muss die Klasse des Arzneimittels widerspiegeln, zu der das neue Produkt gehört. Das »mab« im Namen von Bamlanivimab identifiziert es als monoklonalen Antikörper. Schließlich muss auch der generische Name weltweit zugelassen werden können, da Patienten, Ärzte und Krankheiten die lästige Angewohnheit haben, sich über Landesgrenzen hinweg zu bewegen.

Aber die Regeln der generischen Namensgebung hören damit nicht auf. Im direkten Gegensatz zu der Art und Weise, wie wir Markenprofis in der Regel gerne Marken benennen, muss der generische Name leider jede Verbindung zu seinem Hersteller oder irgendwelche auf Nutzen basierenden Superlative vermeiden. Eine auf Markennamen spezialisierte Agentur hätte vielleicht vorgeschlagen, das neue Medikament »Lillikillicovid« zu nennen, aber das wäre leider in der Welt der Pharma-Werber nicht erlaubt. Oder sollte ich korrekter schreiben: … noch nicht erlaubt?

Um die Sache noch schwieriger zu machen, muss der neue Name nicht nur jeden Hinweis auf den Nutzen für die Patienten, sondern auch auf seine grundlegende Verwendung vermeiden. Er darf im Namen nicht einmal auf die ursprünglich beabsichtigte medizinische Anwendung (Covid) verweisen. Das liegt daran, dass viele Medikamente am Ende weitaus nützlicher für zufällige Indikationen sind, die nie Teil ihres ursprünglichen Verwendungszwecks waren. Viagra, oder Sildenafil, um den korrekten generischen Namen zu nennen, wurde als Blutdruckmittel entwickelt, bis während der Tests eine glücksstiftende alternative Nebenwirkung auftrat.

Der Name von Bamlanivimab ist das Ergebnis genau dieses komplexen Prozesses. Und um fair zu sein, traf Eli Lilly wohl nicht einmal die endgültige Entscheidung, diesen Namen zu wählen. Stattdessen reichte man wahrscheinlich eine Reihe von Namensvorschlägen ein, und die FDA, die für Arzneimittel in Amerika zuständige Behörde der US-Regierung, traf dann wie immer,die endgültige Auswahl und teilte sie dann Eli Lilly mit.

Ich wette mal, dass Bamlanivimab nicht der Name war, der ganz oben auf Eli Lillys Marketing-Wunschliste stand und dass es einiges Augenverdrehen in der Marketingetage bei Eli Lilly gab, als die FDA den letztlich gewählten Namen mitteilte.

Aber es gibt auch eine gute Nachricht für Eli Lilly und seine leidgeprüften Marketers. Die meisten Medikamente bekommen noch einen dritten Namen, der neben ihren wissenschaftlichen und generischen Referenzen steht. Und dieser erst ist der eigentliche Markenname.

Diese letzte Phase der Namensgebung ist viel strategischer und näher an dem, was wir als Markenprofis normalerweise tun. Pharma-Markennamen können wie jeder andere Markenname konzipiert, kommuniziert und geschützt werden. Und das ist ein entscheidender, wichtiger Schritt für Arzneimittelfirmen, weil Markennamen auch im Pharmamarkt immer noch eine große Rolle spielen.

Die kreative Übersetzung von Acetylsalicylsäure in Aspirin oder von Paracetamol in Tomapyrin waren wohl entscheidende Schritte für ihren letztendlichen Markterfolg. Das Zulassungsverfahren für Bamlanivimab verlief so schnell, dass das Marketingteam von Eli Lilly und deren Berater wahrscheinlich noch immer an dem Markennamen arbeiten, den sie später für ihr heisses neues Produkt registrieren lassen wollen.

Ein paar Tips zur Entwicklung von Markennamen.
Wie bei jeder anderen Herausforderung im Zusammenhang mit dem Markennamen gibt es eine Reihe von Schlüsselproblemen zu berücksichtigen, wenn der Namensfindungsprozess beginnt. Zuallererst und ganz offensichtlich wollen wir vermeiden, dass wir unsere Marke in der ganzen Welt anders benennen müssen, weil wir einen Namen gewählt haben, den wir in einem bestimmten Land nicht besitzen könnten oder weil er in der Sprache eines unserer Zielländer eine ungewünschte Bedeutung hat. Hoffentlich kommen die Entscheider des skandinavischen Scheibenenteisers »SuperPiss« nie auf die Idee nach Deutschland verkaufen zu wollen. Ich wette keiner der Erfinder der angesagten Fashion Brand ACNE (»Ambition to
Create Novel Expressions«) sprach deutsch, oder hatte mit Hautausschlag zu kämpfen. Das erste von Toyota in Serie gefertigte Elektroauto aus Japan, der i-MIEV stinkt zumindest in Deutschland zum Himmel. Umweltfreundliche Fortbewegung klingt anders! Und der von Clairol angebotene dampfende Lockenstab »Mist Stick« war zumindest in Deutschland auch kein Verkaufserfolg.

Die eigentliche Herausforderung für Bamlanivimab wie für alle anderen im Entstehen begriffenen Marken, die einen prägnanten und effektiven Markennamen suchen, besteht darin, den Markenstrategieprozess abzuschließen und die Positionierung scharf zu ziehen, bevor sie das Produkt benennen. Ist die Markengestalt definiert und die Positionierung geklärt, können wir uns darauf konzentrieren, einen Markennamen zu erschaffen, der genau diese Markengestalt, die Positionierung und/oder deren Nutzenversprechen widerspiegelt und konnotiert.

Mehr darüber, wie man schnell zu dem perfekten Markennamen kommt in meinem Beitrag »Schneller zum neuen Markennamen.« und »Braucht eure Marke einen neuen Namen?« hier im Blog. Falls ihr alles wirklich alles zum Thema Entwicklung Erfolg versprechender Markennamen lesen möchtet, empfehle ich euch abschließend meinen Beitrag »Namensfindung für Marken: Mein strategischer Ansatz zum Erfolg.«

Die Lektion für Vermarkter und für die kleine Schar von Eli Lilly, die sich derzeit in einem fensterlosen Konferenzraum in New Jersey versteckt und auf eine lange Liste von Namensalternativen starrt, ist, dass man sich mit dem Markennamen Zeit lassen sollte. Namen sind eine taktische Sache. Erledigen Sie zuerst Ihre Strategie. Und dann, erst, wenn Markengestalt, Positionierung und Nutzenversprechen klar artikuliert sind, beginnen Sie mit dem Namensabenteuer. Oh, und checkt bitte, dass ihr eure neue Marke nicht ohne es zu wissen »Arschhaare« nennt!


Als BrandDoctor helfe ich Unternehmern, Gründern und Marketingverantwortlichen dabei, ihre wichtigen Marken- und Marketingentscheidungen professionell und Erfolg versprechend zu treffen. Mit innovativen Tools unterstütze ich sie, das wichtige strategische Fundament dafür zu legen, mit ihren Marken nachhaltig erfolgreich am Markt zu agieren.

Über den Autor: Andreas Wiehrdt entwickelt und revitalisiert Marken seit über 20 Jahren. Alleine, als Markenstrategieberater oder im Team mit Experten aus seinem Netzwerk.