Ist deine Marke schon regional genug?
Ist deine Marke schon regional genug?
Autor: Andreas Wiehrdt
München, den 24.02.2021
Titelbild: Foto von GeoJango Maps auf Unsplash
Warum verkaufen sich Uhren aus der Schweiz besser als Uhren aus Sachsen, auch wenn in Glashütte in Sachsen seit dem 19. Jahrhundert die weltweit besten Uhren hergestellt werden? Warum schmeckt Milch aus dem Bertechsgadener Land automatisch besser als die aus Castrop-Rauxel oder Bitterfeld? Und ist es sinnvoll, die Herkunft meiner Marke stärker als bisher hervorzuheben?
Während die Herkunft und Heimat der meisten großen Marken unbekannt ist oder für die Kunden oft gar keine Rolle spielt, gibt es inzwischen immer mehr Marken, die ihre regionale Herkunft in den Mittelpunkt ihrer Positionierung und Kommunikation stellen. Laut Statista ist die regionale Herkunft von Produkten für immer mehr Verbraucher (inzwischen über 50 %) ein wichtiges und überzeugendes Entscheidungskriterium. Aus ganz unterschiedlichen Gründen (siehe unten).
Wenn also Regionalität für immer mehr Menschen ein wichtiger Grund ist, die regionale- oder Heimatmarke den anderen ohne erkennbare Herkunft vorzuziehen, dann wäre es doch sinnvoll, für die eigene Marke zu prüfen, ob eine regionale Positionierung die Absatzchancen weiter erhöhen könnte, oder?
In diesem Beitrag möchte ich an alle Markeninhaber appellieren zu prüfen, welche Chancen in der konsequenten Regionalisierung ihrer Marke liegen und Beispiele für gelungene und erfolgreiche Regionalkonzepte liefern.
Achtung: Dieser Beitrag richtet sich weniger an Einzelhandelsunternehmen oder touristische Regionen als an Entscheider mit klassischen Produkt- oder Dienstleistungsmarken, denen ein regionale Verortung möglicherweise den entscheidenden Wettbewerbsvorsprung sichern könnte.
Was meine ich mit »Regionalmarke«?
Der Begriff Regionalmarke wird heute in verschiedenen Bedeutungszusammenhängen verwendet, deswegen ist es sinnvoll, die wichtigsten Konzepte hinter dem Schlagwort »Regionalmarke« kurz zu differenzieren:
Marken von Erzeugergemeinschaften oder -verbänden, die in erster Linie den Absatz von (überwiegend landwirtschaftlichen) Produkten einer ganz bestimmten Region fördern sollen. Hier findet der komplette Prozess von der Erzeugung, über die Verarbeitung, dem Handel bis zum Verbrauch oder der Nutzung in regionalen Kreisläufen statt. Wertschöpfung aus diesen Prozessen verbleibt in der Region. Beispiele: »Natürlich Niederrhein«, »Regionalmarke Eifel«, »Echt Schwarzwald« oder »Typisch Harz«.
Marken von Einzelhandelsunternehmen, die damit den Absatz regional beschaffter Produkte forcieren und die wachsende Nachfrage nach regionalen Produkten bedienen möchten. Beispiele: »REWE regional«, »EDEKA Mein Bayern« und »Einfach regional« von ALDI Süd.
Marken, die sich bewusst als Teil einer bestimmten Region positionieren und damit an die Heimatverbundenheit und den Heimatstolz der Käufer appellieren. Beispiel: »Unsere Münchner Weißwurst«.
Marken, deren regionale »Heimat« bewusst als Verkaufsargument eingesetzt wird. Beispiel: »Made in Germany«.
Marken, für Produkte mit einer rechtlich geschützten geografischen Herkunft (geschützte geografische Angabe). Beispiele: Spreewald-Gurke, Münchner Weißwurst, Südtiroler Bauernapfel oder Nürnberger Lebkuchen.
Marken, die der touristischen Entwicklung bestimmter Regionen dienen, werden auch als Regionenmarken bezeichnet. Es gibt sie auf Landesebene, Regionalebene und Städte- oder Ortsebene. Beispiele: »Taunus. Land der Berge, Burgen, Bäder.«, »Einfach München« oder »Oberhausen – Mehr erleben.«
Unter einer Regionalmarke im engeren Sinne verstehe ich Marken, die einerseits nur in einer bestimmten Region des Landes bekannt sind und dort eine gewisse eine Bedeutung haben und die aus dieser Region kommen. Also der Sitz des Unternehmens ist in dieser Region, die Rohstoffe kommen aus der Region, die Produktion findet in der Region statt. Im weiteren Sinne sind regional positionierte Marken auch solche, die bewusst den Eindruck erwecken, aus einer bestimmten Region zu stammen, weil sie sich dadurch einen gewissen Kompetenztransfer von der Region versprechen.
Was unterscheidet eine Regionalmarke von einer »normalen« Marke?
Bei »normalen« Marken wird meist kein Wert darauf gelegt, der Marke eine bestimmte Heimat zu geben. Die Kunden präferieren solche Marken aus anderen Gründen, als deren regionaler Herkunft. So machen sich die meisten Corn-Flakes-Esser wohl keinen Kopf darüber, ob ihre Kellogg's Special K aus deutschem oder amerikanischem Mais geröstet wurden oder wo sie in die Packung gefüllt wurden. Gleiches gilt wohl für Nutella und Heinz-Ketchup.
Bei regional verankerten Marken ist das anders. Hier spielt die Herkunft plötzlich eine kaufentscheidende Rolle. Regionalität ist Teil der Positionierung und ein relevantes Versprechen an die Kunden. Jack Daniel's Whiskey muss halt aus Kentucky, genauer aus Lynchburg stammen und die beste Gewürzgurke aus dem Spreewald.
Warum funktionieren Regionalmarken?
Marken, die sich ganz bewusst in einer bestimmten Region verorten, appellieren an verschiedene Motive ihrer (potenziellen) Kunden:
Solidarität
Menschen, die in einer bestimmten Region beheimatet sind oder sich mit dieser Region besonders verbunden fühlen, neigen häufig dazu, Unternehmer und Unternehmen aus dieser Region zu bevorzugen. Mann möchte diese Unternehmen aus der Nachbarschaft unterstützen und zu deren Erhaltung beitragen.Arbeitsplätze
Für viele ist der Erhalt von Arbeitsplätzen in einer bestimmten Region wichtig. Deswegen kaufen sie bewusst Produkte von Unternehmen aus dieser Region.Heimatgefühl
Der Kauf, der Besitz und die Nutzung regionaler Marken löst bei vielen Kunden ein angenehmes Gefühl von Heimatverbundenheit und schönen Erinnerungen aus.Das Original
Viele Kunden möchten die Gewissheit haben das Original-Produkt und nicht einen Ersatz zu kaufen. Auch, weil man dem Original eine gewisse Typik und einen Qualitätsvorsprung vor der Konkurrenz zuschreibt. So glauben viele Verbraucher, dass eine originale Spreewald-Gurke eben anders und besser schmeckt, als vergleichbare Gewürzgurken aus anderen Regionen und von anderen Marken.Kompetenz
Kunden schreiben bestimmten Regionen besondere Kompetenzen in der Erzeugung und Herstellung bestimmter Produkte zu. So gelten etwa die Bodenseeregion und Südtirol als besonders kompetent im Anbau von Äpfeln und Messer aus Solingen sind vielleicht nicht schärfer, gelten aber als qualitativ hochwertiger als die der Konkurrenten aus anderer Herkunft.Umweltschonung
Dass der Transport von Waren aus fernen Regionen und Ländern den CO₂-Abdruck dieser Produkte verschlechtert, ist bekannt und wird zunehmend zum Auswahlkriterium für Produkte und Marken. Kurze Transportwege werden (gerade bei verderblichen Produkten) als förderlich für die Produktqualität und schonend für die Umwelt bewertet.Bekämpfung von unwürdigen Arbeitsbedingungen.
Dass Produkte gerade in fernöstlichen Ländern unter teilweise unmenschlichen Bedingungen hergestellt werden, ist bekannt und wird zunehmend zum Ausschlusskriterium für den Kauf. Bei Produkten aus europäischer Produktion können sich Kunden sicher(er) sein, dass sie menschenverachtende Produktionsbedingungen nicht auch noch unterstützen.Lifestyle
Regional-Kaufen ist auch in gewisser Hinsicht ein verbreiteter, attraktiver Lebensstil geworden. Im bestimmten Kreisen und Milieus ist es heute angesagt, regionale Produkte zu kaufen.Gegenbewegung zur zunehmenden Globalisierung und Anonymisierung. Immer mehr Kunden wollen eine gewisse Beziehung zu den Marken und Herstellern aufbauen können, deren Produkte sie kaufen. Als aufgeklärte Verbraucher ist es ihnen wichtig, zu wissen, wer wo und wie die Produkte herstellt, die sie kaufen.
Wie »baue« ich eine Regionalmarke ?
Wenn ihr jetzt selbst darüber nachdenkt, aus eurer Marke eine Regionalmarke zu machen oder eure Marke zumindest in einer bestimmten Region verorten und positionieren möchtet, bieten sich euch zwei grundsätzlich unterschiedliche Konzepte:
Ihr nutzt die besondere Kompetenz, die einer bestimmten Region zugeschrieben wird und positioniert eure Marke dorthin.
So gelten beispielsweise Frankreich und Italien als kompetente Heimatländer für High-Fashion-, Wein- und Gourmet-Food Marken, Skandinavien als besonders kompetent für Outdoor-Bekleidung und puristisch designte Möbel und die USA für Bourbon und Barbecue und Deutschland für Automobile und hochwertige Industrieprodukte.
Am besten ist es natürlich, wenn der Sitz eures Unternehmens schon in einer Region mit der gewünschten Kompetenz liegt oder der Gründer das Unternehmen zumindest in dieser Region gegründet hat oder wenigstens von dort stammt. Aber auch wenn nicht, sollte euch das nicht hindern eure Marke regional zu positionieren.
Egal, wo euer Unternehmen seinen Sitz hat, wo euer Designteam arbeitet und wo eure Bekleidungsstücke hergestellt werden, es steht euch grundsätzlich frei, eurer Fashion Brand eine regionale Heimat, zum Beispiel in Italien oder Frankreich zu geben. Es interessiert heute niemanden, dass die »italienische« Luxus-Lifestyle-Marke GUCCI dem französischen Luxusgüterkonzern Kering gehört, seinem zweiten Aufstieg Tom Ford, also einem amerikanischen Designer verdankt und den überwiegenden Teil der Produkte in Asien herstellt.
Wichtig ist, dass ihr eurer Marke eine regionale Heimat gebt. Dabei spielt der Markenname eine Rolle. Er sollte über den Klang zumindest das Gefühl vermitteln, zu einer bestimmten Region zu gehören. Das 1961 vom polnischstämmigen Ehepaar Rose und Reuben Mattus in New York City gegründete Speiseeisunternehmen Häagen-Dazs fand heraus, dass viele Amerikaner den Skandinaviern eine besonders hohe Kompetenz für die Herstellung von Eiscreme zuschreiben und ließ kurzerhand eine skandinavisch anmutende Marke entwickeln. Dass es in den skandinavischen Sprachen gar keinen Umlaut gibt, hatte man nicht sauber recherchiert. Und dass die Marke heute dem Schweizer Nahrungsmittelkonzern Nestlé gehört, tut der skandinavischen Positionierung wohl auch keinen Abbruch.
Die Fast-Fashion-Kette Massimo Dutti gehört zur spanischen Inditex Gruppe, sugggeriert aber allein über den Markennamen italienische Herkunft. IKEA, die schwedische Marke des multinationalen Mitnahmemöbelkonzerns gehört heute einer niederländischen Stiftung, aber verstärkt seine schwedische Markenpersönlichkeit auch über verrückt und fremd klingende Produktnamen (Brunkrissla, Dryckjom oder Sköldpadda) und Werbesprecher mit skandinavischem Akzent.
Vor vielen Jahren hatten wir einer europaweit operierenden Modekette empfohlen, deren französische Herkunft wieder stärker in den Mittelpunkt der Marke zu rücken, auch weil französischen Eleganz gerade in Osteuropa, wo die Kette überdurchschnittliche Erfolge erzielte, besonders gefragt war. Die Veränderungen im Markenkern sind inzwischen in den Kollektionen und im Ladenbau aufgegriffen und von Erfolg gekrönt.
2. Ihr sprecht das Solidaritäts- oder Heimatgefühl einer regional verbundenen Kundschaft an.
Die Lebensmittelketten haben es vorgemacht und bieten heute ihren Kunden mit »Ein gutes Stück Heimat« (Lidl), »Unsere Heimat, echt und gut« (EDEKA) oder »REWE regional« regionale Sortimentsmarken.
Traditionelle »Ostmarken« wie Rotkäppchen Sekt (heute Seagram), Bautz'ner Senf (heute Develey)oder die Waschmittel der früheren HO-Marke Spee (heute Henkel) haben sich inzwischen deutschlandweit durchgesetzt, für die einen, aus DDR-Sentimentalität, für die anderen aus Gründen der Authentizität.
Dass DDR-Bier-Marken wie Radeberger, Wernesgrüner und Hasseröder heute als beliebte Qualitätsmarken auch in den alten Bundesländern nachgefragt sind, trägt vermutlich noch mehr zum Heimatstolz der Markenfans aus den neuen Bundesländern bei. (Natürlich ist mir bewusst, dass es all diese Marken auch schon lange gab, bevor die DDR entstanden ist. Ehemalige Bürger der DDR identifizieren sich aber in hohem Maße auch heute noch mit diesen Erfolgsmarken.)
Weißwürste aus München, Rostbratwürste aus Nürnberg oder Thüringen und Currywürste aus Berlin gelten gemeinhin als das jeweilige Nonplusultra ihrer Kategorie. Produkte »Made in Germany« gelten nicht nur in Deutschland, sondern gerade auch in den Exportmärkten als qualitativ besonders hochwertig. Trotzdem kaufen Franzosen am liebsten französische Autos und kaum ein Italiener würde wohl den hervorragenden Barista-Kaffee des Bremer Traditionsrösters Melitta in seine Espressomaschine schütten, auch wenn Bremen für Deutsche die Hauptstadt der Kaffeeröster ist.
Gelingt es Marken, das Heimatgefühl, den Nationalstolz oder einfach nur ein Gefühl der Solidarisierung mit einer Region auszulösen, ist das ein entscheidender Wettbewerbsvorteil.
Zusammenfassung.
Aus verschiedenen Gründen erfreuen sich regional positionierte Marken einer steigenden Beliebtheit.
Eine regionale Positionierung kann einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil bedeuten.
Dabei ist es nicht immer zwingend, dass die Herstellung der Produkte auch tatsächlich in der betreffenden Region stattfindet oder das Unternehmen auch seinen Sitz in der Region haben muss.
Viele Marken vergeben sich große Chancen, wenn sie die Optionen und potenzielle Vorteile einer regionalen Positionierung nicht zumindest prüfen.
Als BrandDoctor unterstütze ich Unternehmen sehr gerne dabei, die Optionen sowie die Vor- und Nachteile einer regionalen Positionierung möglichst objektiv zu prüfen, um die sich hieraus ergebenen Chancen gegebenenfalls für das Wachstum der Marke zu nutzen.
Der BrandDoctor hilft bei wichtigen Markenentscheidungen mit Tragweite.
Als BrandDoctor helfe ich Unternehmern, Gründern und Marketingverantwortlichen sowie Marken- und Designagenturen dabei, ihre wichtigen Marken- und Marketingentscheidungen professionell und Erfolg versprechend zu treffen. Mit innovativen Tools unterstütze ich sie, das wichtige strategische Fundament dafür zu legen, mit ihren Marken nachhaltig erfolgreich am Markt zu agieren.
Über den Autor: Andreas Wiehrdt entwickelt und revitalisiert Marken seit über 20 Jahren. Allein, als Markenstrategieberater oder im Team mit erfahrenen Spezialisten aus seinem Kompetenznetzwerk.