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Lässt sich eure Marke vererben?

Lässt sich eure Marke vererben?

Autor: Andreas Wiehrdt
München, den 15.02.2022
Titelbild: www.megadeluxe.com


»Das ist doch jetzt aber eine erfundene Story, oder? «

Als ich am Anfang meiner Karriere ein Jahr in den USA in einer renommierten Agentur an der Madison Avenue arbeiten durfte, hatte ich das Glück für eine US-amerikanische Institution beraten zu dürfen. Stanley, die Ikone jedes amerikanischen Arbeiters – meist in grünem Hammerschlag-Finish – in der er seinen Kaffee oder seine Pausenbrote Tag für Tag auf die Baustelle trägt. »Unbreakable since 1913.« war und ist das Versprechen einer Legende, untermauert mit einer »Lifetime Warrenty«, die dem stolzen Besitzer oder der stolzen Besitzerin garantiert, dass ihn oder sie ein Stanley-Produkt niemals im Stich lassen wird und immer reparierbar bleibt. In den USA DIE Thermoskanne, auch wenn sie in Wahrheit gar keine ist. Eine Zeitreisende, die ihre Besitzer zurück in die 1930-er-Jahre versetzt, denn ihr Steampunk-Look hat sich in den letzten 100 Jahren kaum verändert.

Mir als »unwissenden Europäer« erzählte der Stanley-Werbeleiter dann die wahre Geschichte eines Kunden, der am Küchentisch seine Waffe reinigte, als sich versehentlich ein Schuss löste. Und natürlich war es eine Stanley in der Lederaktentasche auf dem Küchentisch, die die Kugel abfing auf ihrem Weg zu seiner Ehefrau am anderen Ende des Tisches. Eine zweite Anekdote war die Story eines verstorbenen Familienvaters, bei dessen Testamentseröffnung ein wilder Streit zwischen den Söhnen entbrannt sein soll, darüber, wer Vaters Stanley erben sollte. Eine Thermoskanne, die damals wohl etwa 25 Dollar Anschaffungspreis hatte. Der Streit soll übrigens später mit Streichholzziehen beim Notar beigelegt worden sein.

Das war der Tag, an dem mir klar wurde, wenn so etwas passiert, dann weißt du, du hast eine Marke geschaffen, die etwas zählt bei den Menschen.

Dass man Unternehmen und letztlich auch Marken vererben kann, ist klar. Das passiert so ungefähr alle 50 Jahre in Familienunternehmen. Aber darum geht es hier heute nicht. In Wahrheit geht es in diesem Beitrag um Marken und Produkte, die dermaßen unkaputtbar sind, dass sie mit längerer Nutzung oder zunehmenden Alter immer wertvoller werden. Dann freut sich nämlich die nächste Generation über ein cooles, altes Erbstück mit Patina und Geschichte.

Dass eine gebrauchte evtl. vererbte Rolex ein vielfaches davon wert sein kann, was das gleiche Modell neu im Laden kostet, wissen die meisten, die sich für teure Uhren interessieren. Wie bei der Stanley-Warmhaltekanne, steigt das Produkt im Wert, je mehr Geschichte sich um es rankt und je mehr Spuren die Geschichten der Besitzer auf ihnen hinterlassen haben.

Aber in Wahrheit geht es ja nicht nur um das Vererben von Marken, sondern vor allem darum, dass es Marken und Produkte gibt, die ihre Besitzer ein Leben lang begleiten. Ich habe meine Rolex GMT-Master gekauft, als ich das Glück hatte einige Jahre für die wohl berühmteste Schweizer Uhrenmarke Werbung machen zu dürfen. Heute, 35 Jahre später gab es kaum einen Tag in meinem Leben, den mich diese legendäre Uhr nicht begleitet hätte. Und ich weiß, dass ich sie irgendwann einmal an meinen Sohn vererben werde. Und der dann vielleicht an seinen.

Marken, die in die Kategorie »vererbbar« oder besser als Ikonen gelten wollen, sollte folgende Grundbedingungen erfüllen:

  1. Sie sollten von weit überdurchschnittlicher Produktqualität sein. Denn nur so überlebt das Produkt mehr als eine Generation von Besitzern.

  2. Das Produkt sollte seine Besitzer im Alltag begleiten, immer in ihrer Nähe sein, um so Teil ihres Lebens werden zu können.

  3. Das Unternehmen hinter der Marke sollte Geschichte besitzen, noch besser spannende Geschichten zu erzählen haben.

Ein weiterer »Lackmustest« dafür, ob eine Marke Ikonen-würdig ist, ist die Frage, ob sich begeisterte Kunden die Marke tätowieren lassen würden. Marketing-Guru Seth Godin hat in diesem Zusammenhang die Frage aufgeworfen »Is it tattoo-worthy?« und empfiehlt allen Markenmachern sich zum Ziel zu setzen, dass Kunden sich die Marke tatsächlich tätowieren lassen. Godin bringt dann das Beispiel Harley-Davidson und gibt zu denken, warum sich wohl niemand Suzuki stechen lassen wird. Und letztlich ist die Rolex am Handgelenk ja auch so etwas wie ein Tattoo. Ein nach außen sichtbares Symbol der Liebe zu einer wahrscheinlich einzigartigen Uhr. Eine geliebte Marke, die wahrscheinlich den Rest des Lebens fest mit dem Besitzer verbunden ist. Und vielleicht noch darüber hinaus, wenn die nächste Generation diese Liebe teilt.

Apropos »Liebe«, nicht umsonst nennt man Marken, mit denen ihre Besitzer oder Nutzer eine besonders innige und lange Beziehung eingehen, auch Lovemarks oder Love Brands. Für mich das Höchste, was eine Marke erreichen kann. mehr darüber in meinen Artikeln »Wie man zur Love Brand wird.« und »Holy Brands - Wenn Marken Heilige werden.«

Aber kommen wir zum Abschluss noch einmal zurück zur vererbbaren Stanley-Warmhaltekanne vom Anfang. Vielleicht solltet ihr euch nicht nur mit Seth Godin fragen, was könnte meine Marke »tattoo-worthy« machen, sondern: »Könnten Produkte meiner Marke sogar Testament-fähig werden?«, wie eine Rolex oder Patek Philippe.

Dabei müssen solche vererbbaren Marken gar nicht immer so teuer sein, wie eine Harley oder Rolex. Einer meiner Auftraggeber stellt mobile Sprühgeräte her, »Giftspritzen«, wie manche Nutzer sie liebevoll oder auch nicht nennen. Dort bekommt der Customer Service immer wieder Anrufe von glücklichen Erben, die eine solche Spritze des Großvaters (Anschaffungspreis weit unter 100 €) mit ein paar Ersatzteilen wieder gangbar machen möchten. Wahre Liebe hat keinen Preis, nur ein paar Beulen.

Was kennt ihr für Beispiele von Marken, die vererbbar wären? Welche Marken sind für euch »tattoo-worthy« oder Testaments-geeignet? Welche Marke begleitet euch persönlich schon ein gutes Stück eures Lebens und wird vielleicht auch einmal euren Kindern Freude bereiten?


Der BrandDoctor hilft bei wichtigen Markenentscheidungen mit Tragweite.
Als BrandDoctor helfe ich Unternehmern, Gründern und Marketingverantwortlichen sowie Marken- und Designagenturen dabei, ihre wichtigen Marken- und Marketingentscheidungen professionell und Erfolg versprechend zu treffen. Mit innovativen Tools unterstütze ich sie, das wichtige strategische Fundament dafür zu legen, mit ihren Marken nachhaltig erfolgreich am Markt zu agieren.

Über den Autor: Andreas Wiehrdt entwickelt und revitalisiert Marken seit über 20 Jahren. Allein, als Markenstrategieberater oder im Team mit erfahrenen Spezialisten aus seinem Kompetenznetzwerk.


Wie ich’s mit dem Gendern halte:

Im Interesse einer besseren Lesbarkeit und aus Respekt vor unserer schönen deutschen Sprache habe ich mich dazu entschlossen, nicht ausdrücklich in geschlechtsspezifischen Personenbezeichnungen zu differenzieren. Die meist gewählte männliche Form schließt aber natürlich eine adäquate weibliche Form oder jede andere Form gleichberechtigt ein.