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Die Marke dehnt sich, bis sie reißt.

Die Marke dehnt sich, bis sie reißt.

München, 13.07.2021
Aktualisiert: 31.03.2023
Autor: Andreas Wiehrdt

Stellt euch vor, ihr besitzt eine gut laufende, authentische italienische Spaghetteria in einer deutschen Großstadt, die von Gästen deutscher und italienischer Abstammung sowie Touristen besucht wird. Ihr habt inzwischen gut damit verdient und beschließt nun zusätzlich das griechische Lokal gleich um die Ecke zu pachten, dessen griechischer Betreiber wieder zurück nach Thessaloniki möchte.

In diesem Beitrag plädiere ich dafür, der Versuchung, die eigene Marke in neue Märkte zu dehnen, zwar gerne nachzugeben, aber immer mit Verstand und Augenmaß. Sonst besteht Gefahr, die Marke nachhaltig zu beschädigen

So weit, so gut.

Der Marketingprofi in euch denkt sofort an Cross Selling und lässt Tischaufsteller für beide Lokale produzieren, die das jeweils andere Lokal bewerben sollen. Dieselbe hohe Qualität der Speisen, der gleiche sympathische, authentische Service. Der gleiche Betreiber. Wer will schon jeden Tag Pasta oder immer nur Souvláki essen?

Wahre Geschichte. Ich war Teil des Teams, dass das Branding für die Spaghetteria entwickeln durfte.

Was soll ich sagen, beide Lokale verloren Kunden. Die Auslastung sank dramatisch. Geschätzte Stammkunden ließen sich nicht mehr blicken. Und das lag nicht an unserem Branding!

Die Ansoff-Matrix hat vielen Marketingfachleuten und Führungskräften geholfen, die mit der Dehnung ihrer Marke verbundenen Risiken besser zu verstehen. (Abbildung: BrandDoctor).

Was war geschehen?

Beide Lokale lebten von ihrer Authentizität. Beim Italiener wurde man mit »Professore« oder »Bella Signora« angesprochen und bekam immer einen Averna auf's Haus zur Rechnung. Beim Griechen gabs einen Ouzo und ein gastfreundliches »Yamas!« zur Begrüßung und den einen oder anderen zwischendurch. Genau, was die Gäste wünschten und schätzten. Authentisches Ambiente und echte Gastfreundschaft. Jedes Lokal war seine eigene Marke mit seiner ganz eigenen Tonalität und Persönlichkeit. Ein Freund, den man gerne besuchte.

Und plötzlich entlarvt ein einfacher Tischaufsteller die Marketingblase. Das geliebte Lokal nun plötzlich Teil eines Gastrokonzerns. Die Authentizität dahin. Die Servicekräfte geschulte Schauspieler? Pperfektionierte Gastrokonzepte um den Kunden mehr Geld aus der Tasche zu ziehen?

Der Markenprofi spricht von Brand Stretch, der hier einfach zu weit getrieben wurde. Das Markenfundament Spaghetteria trägt den Griechen nicht und umgekehrt. Den erwünschten Synergieeffekten (Marketing, Lieferanten, Personal, Prep Kitchen etc.) steht massiver Glaubwürdigkeitsverlust gegenüber. Der enttäuschte Kunde bestraft mit Nichtkonsum.

Markendehnung bei Disney (Abbildung: BrandDoctor).

Markendehnung am Beispiel Virgin (Abbildung: BrandDoctor).

Und die Moral von der Geschichte: Unternehmen dürfen und sollen wachsen, Marken auch. Aber irgendwann kommt der Punkt, wo das alte erfolgreiche Markenfundament die neuen Unternehmungen nicht mehr trägt. Hier ist Sensibilität gefragt. Und manchmal ist es besser, neue Geschäftsideen unter einer neuen Marke am Markt zu platzieren.

Ohne die Cross-Selling-Aufsteller hätte der Gastronom beide Lokale als eigenständige authentische Marken weiterführen können und nur die wenigsten Kunden hätten bemerkt, dass hinter beiden Marken ein und derselbe Unternehmer steht.

Erinnert ihr euch noch, als Porsche den Cayenne vorstellte? Die meisten Markenprofis hielten es für eine völlig unmögliche Idee, unter einer der profiliertesten Marken für zweisitzige, teure Sportwagen einen viersitzigen SUV für wohlhabende Familien zu launchen. Dass das trotzdem geklappt halte ich immer noch für ein Wunder.

Aus meiner früheren Arbeit für Melitta weiß ich, dass die Ausweitung der Marke von Kaffee und Filtertüten zu Mülltüten und Staubsaugerbeutel so gar nicht funktionierte, sodass man wenig später die neue Marke TOPITS erfand, um Genuss- und Abfallprodukte markentechnisch voneinander zu trennen.

Ich weiß nicht, wie es euch damit geht, ich verstehe heute noch nicht, wie man bei Villeroy & Boch glauben kann, dass man an einem Abend im Sternerestaurant von hochwertiger Tischware der aus dem Saarländischen Edelkeramikbrennerei aus Mettlach speist, um sich dann kurze Zeit später in Porzellanbecken derselben Marke zu erleichtern.

Wie weit sich eine Marke spreizen lässt, bevor sie reißt, muss jeder Markenverantwortliche selbst entscheiden. Manchmal wird Mut belohnt, manchmal wird Leichtsinn abgestraft. Ein Blick in das strategische Fundament der Marke (Positionierung, Purpose, Persönlichkeit etc.) hilft. Research auch. Natürlich reizt der Gedanke ein neues Produkt oder sogar Geschäftsfeld unter eine etablierte Marke zu stellen, schließlich spart das Marketingkosten, aber jede Markenspreizung stellt auch immer ein Risiko für die Marke und damit jedes bisherige Produkt dar. Ein Risiko, das kalkuliert sein muss.

Markenarchitektur hilft Markenüberdehnung zu vermeiden.
Eine alternative Möglichkeit, die ungesunde Überdehnung eurer Marke zu vermeiden, ist über eine neue Markenarchitektur nachzudenken und beispielsweise eine Submarke für ein bestimmtes Produktportfolio aufzubauen. Mehr darüber in meinem Beitrag »Was ist Markenarchitektur und warum muss ich das wissen?«.

Zusammenfassung:
Häufig ist es die naheliegende und einfachste Lösung, neue Produkte oder sogar ganze Geschäftsfelder unter eine bereits etablierte, erfolgreiche Marke zu stellen.

Der Chance des kostensparenden Sprungbretts für neue Produkte unter einer eingeführten Marke muss das Risiko einer Beschädigung der Marke durch die Erweiterung des Angebots gegenüber gestellt werden.

Die Überdehnung der Positionierung oder des Purpose einer etablierten Marke oder der negative Abstrahleffekt eines möglichen Flops neuer Angebote auf die Marke sind realistische Gefahren einer Markendehnungsstrategie.

Werden neue Angebote unter einer neuen Marke eingeführt, ist das zwar deutlich aufwendiger, schützt aber die etablierte Marke vor dauerhaften Schäden.

Vor der Entscheidung sollte das strategische Markenfundament auf Tragfähigkeit hin geprüft und Chancen wie Risiken objektiv bewertet werden.


Der BrandDoctor hilft bei wichtigen Markenentscheidungen mit Tragweite.
Als BrandDoctor helfe ich Unternehmern, Gründern und Marketingverantwortlichen sowie Marken- und Designagenturen dabei, ihre wichtigen Marken- und Marketingentscheidungen professionell und Erfolg versprechend zu treffen. Mit innovativen Tools unterstütze ich sie, das wichtige strategische Fundament dafür zu legen, mit ihren Marken nachhaltig erfolgreich am Markt zu agieren.

Über den Autor: Andreas Wiehrdt entwickelt und revitalisiert Marken seit über 20 Jahren. Alleine, als Markenstrategieberater oder im Team mit erfahrenen Spezialisten aus seinem Kompetenznetzwerk.