Brand Doctor

View Original

Push oder Pull? Was ist die richtige Strategie in B2B-Märkten?

Push oder Pull? Was ist die richtige Strategie in B2B-Märkten?

Foto: Adobe Stock

München, den 29.04.2021
Autor: Andreas Wiehrdt

Bei meinen Auftraggebern aus dem Mittelstand treffe ich häufig die Meinung an, dass B2B am besten über Push geht und Pull für sie nicht funktioniert. Soll heißen, Vertrieb is King und Marketing völlig überbewertet.

Aber stimmt das wirklich? Werfen andere B2B-Anbieter mit ihren auf Nachfrageweckung zielenden Marketingkampagnen tatsächlich Geld zum Fenster raus? Und was genau ist mit Push und Pull gemeint?

In diesem Beitrag gehe ich der Frage auf den Grund, warum viele Mittelständler, die an gewerbliche Kunden verkaufen, alles auf die Vertriebskarte setzen, so wenig an den Erfolg gut gemachten Marketings glauben und sich dadurch in eine gefährliche Abhängigkeit von einem immer mächtiger werdenden Handel begeben. Und ich zeige auf, wie Pull-Marketing gerade in Zeiten zunehmender digitaler Möglichkeiten Herstellern hilft, sich vom machthungrigen Handel zu emanzipieren und datenbasiert direkt an ihre B2B-Kunden zu verkaufen.

Was genau ist mit Push- und Pull-Strategien im Marketing eigentlich genau gemeint? Was ist der Unterschied?
Um den Unterschied zu erklären, gehe ich zunächst davon aus, dass ein Hersteller oder Dienstleister seine Produkte oder Dienstleistungen über einen Absatzmittler oder Händler an seine Endkunden verkauft. Beim Direktverkauf an Endkunden ist eine Unterscheidung zwischen Pull- und Push-Strategie überflüssig.

Bei der Push-Strategie versucht der Hersteller möglichst viele seiner Waren bei möglichst vielen relevanten Wiederverkäufern mit breiter Käuferreichweite in seiner Zielgruppe in die Lager und Regale zu drücken, damit die Kunden die Ware dort sehen und kaufen.

Bei der Pull-Strategie versucht der Hersteller über gezielte Marketingmaßnahmen Kaufinteresse und Nachfrage direkt bei der Zielgruppe zu erzeugen, in der Hoffnung, dass diese Endkunden dann im Handel aktiv nach dem Produkt oder der Dienstleistung fragen und suchen.

Push- und Pull-Strategie vereinfacht erklärt (Abbildung: BrandDoctor).

Vereinfacht gesagt: Push-Marketing bringt das Produkt zum Verbraucher, während Pull-Marketing den Verbraucher zum Produkt bringt.

Typische Aktivitäten der Push-Strategie sind Messeauftritte, Cold Calls sowie Vertriebsbesuche und -gespräche bei Einkaufsentscheidern im Handel und (gemeinsame) Verkaufsförderungsaktionen im Handel am POS. Typische Aktivitäten der Pull-Strategie sind PR, Werbekampagnen, Content Marketing, Performance Marketing und Direct Marketing.

Push-Marketing ist die Domäne des Vertriebs. Das Ziel ist, das Sortiment des Herstellers bei möglichst vielen Händlern mit hoher Kundenreichweite in der eigenen Zielgruppe zu platzieren und dann dort die Absatzmengen sukzessive immer weiter auszubauen. Während Pull-Marketing in die Kompetenz und Verantwortung des Marketing fällt, dass über relevante Kontaktpunkte und Medienkanäle Aufmerksamkeit, Interesse und Begehrlichkeit für das Angebot des Herstellers und damit Nachfrage potenzieller Kunden erzeugt.

In einer perfekten Welt arbeiten Vertrieb und Marketing Hand in Hand.
Beide Strategien haben ihre Berechtigung und haben je nach Lebenszyklus des Angebots, der spezifischen Eigenschaften der Zielgruppe und des Marktes, der Zielsetzung des Herstellers und der verfügbaren Budgetmittel unterschiedliche Erfolgschancen. Für keinen Anbieter gibt es DIE perfekte Strategie. Grundsätzlich würde ich aber sagen, dass ein ausgewogener Mix von Pull und Push die größten Erfolgschancen in sich trägt. Denn Produkte in den Regalen der Händler, die der Kunde nicht kennt und begehrt, verkaufen sich schlecht und begehrenswerte Produkte, die der Kunde im Handel nicht findet, auch. In einer perfekten Welt arbeiten Vertrieb und Marketing Hand in Hand. Und während das Marketing dafür sorgt, dass möglichst weite Kreise der Zielgruppe auf das (neue) Angebot aufmerksam werden, dessen Nutzen verstehen und Kaufinteresse entwickeln, sorgt der Vertrieb dafür, dass die Produkte genau dort im Handel, wo die Endkunden danach suchen, in ausreichender Menge zum gewünschten Verkaufspreis vorhanden sind.

Push und Pull im modernen Marketing.
Um Missverständnisse zu vermeiden, möchte ich erwähnen, dass die Begriffe Push- und Pull-Strategien in jüngerer Zeit in einer modernen Sichtweise auf das digitalere Marketing zur Unterscheidung von Paid Advertising (Das Angebot wird über bezahlte digitale Werbekanäle zu der Zielgruppe gepusht) und Content Marketing (Über hilfreiche, interessante Inhalte wird zunächst Interesse bei der Zielgruppe geweckt, um potenzielle Kunden stufenweise zum Angebot zu »pullen«) genutzt. Auch werden Push und Pull heute als Synonym für Outbound- (Push) und Inbound Marketing (Pull) verwendet.

Was sind die jeweiligen Stärken und Schwächen beider Strategien?

Abbildung: BrandDoctor.

Push-Marketing Stärken:

  • Neue Produkte schnell zur Zielgruppe bringen
    Können Händler mit großer Reichweite in der Zielgruppe von der Listung überzeugt werden, kann es gelingen, ein neues Produkt sehr schnell in das Blickfeld der Endkunden zu bringen.

  • Lagerdruck forciert Abverkauf
    Hat ein Händler das Produkt erst einmal gelistet und sich auf bestimmte Abnahmemengen verpflichtet, wir er aus Eigeninteresse dafür sorgen, diese Produkte auch möglichst schnell abzusetzen.

  • Bei Low-Interest-Produkten macht die Distribution den Erfolg
    Besonders in sogenannten Low-Interest-Produktkategorien, in denen es den Kunden relativ egal ist, von welchem Hersteller oder welcher Marke sie kaufen, kann eine möglichst breite Distribution erfolgsentscheidend sein.

  • Neue Produkte testen
    Über Pilothändler lassen sich neue Produkte oder -varianten relativ risikolos und schnell testen, bevor die Distribution ausgeweitet und in Pull-Marketingmaßnahmen investiert wird.

Push-Marketing Schwächen

  • Abhängigkeit vom Handel
    Der Handel wird zum alleinigen Gatekeeper zum Endkunden. Er entscheidet, welche Produkte er von welchem Lieferanten listet, wie er die Produkte einpreist, wie und wo er die Produkte in seinem Sortiment am POS präsentiert, zu welchen Produkten er seinen Kunden rät und wie er für deren Absatz sorgt. Ist der Bedarf erst einmal geweckt und haben sich die Kunden des Händlers daran gewöhnt, bestimmte Produkte zu regelmäßig zu kaufen, wird der Händler versuchen, das Markenprodukt durch billigere Handelsware zu ersetzen. In vielen Märkten kontrollieren immer weniger Händler ein immer größeres Marktsegment und spielen ihre wachsende Marktmacht gegenüber den Herstellern zu deren Ungunsten aus.

  • Kein Zugang zu Kundendaten
    Der Hersteller wird systematisch abgeschnitten von wertvollen Kundendaten. Er weiß in der Regel nicht, wer wann und wie häufig welche seiner Produkte zu welchem Preis gekauft hat und warum. Er bekommt keine Informationen darüber, welche komplementären Produkte gekauft wurden oder welche Wettbewerbsangebote möglicherweise präferiert wurden.

  • Herausfordernd in Exportmärkten
    Je weiter Exportmärkte vom Heimatland entfernt sind, umso schwieriger ist die Akquise und laufende Betreuung relevanter Wiederverkäufer. Aufbau und Unterhalt einer eigenen Vertriebsmannschaft in Exportmärkten sind aufwendig. Vertriebsagenturen oft keine konkurrenzfähige Alternative.

Abbildung: BrandDoctor.

Pull-Marketing Stärken

  • Bessere Verhandlungsposition gegenüber dem Handel
    Der Handel kann es sich nicht leisten, stark nachgefragte Produkte nicht zu führen und so ist der Hersteller mit erfolgreichem Pull-Marketing in einer starken Verhandlungsposition gegenüber dem Handel.

  • Direkter Kontakt zu Endkunden
    Hersteller mit Pull-Marketing können direkten Kontakt zu (potenziellen) Kunden aufnehmen, wichtige Daten (auch zu Kundenwünschen und -präferenzen) sammeln und Kunden an die eigene Marke binden. Bei D2C-Vertrieb können große Teile der Customer Journey über Daten abgebildet und zur weiteren Optimierung des Pull-Marketing genutzt werden.

  • Direct-to-Consumer-Strategie ermöglicht
    Abhängig vom Produkt und den Kaufgewohnheiten der Kunden kann Pull-Marketing eine D2C-Vertriebsstrategie ermöglichen, bei der auf den Zwischenhändler weitgehend verzichtet werden kann. Margen, die bisher der Handel kassiert und eingesparte Aufwendungen für den klassischen Vertrieb können in Pull-Marketing-Maßnahmen und den Online-Shop investiert werden oder erhöhen das EBIT.

Pull-Marketing Schwächen

  • Hohe Marketingaufwendungen nötig
    Der Auf- und Ausbau von Bekanntheit und Kaufinteresse gerade in breiten Zielgruppen setzt nachhaltig relativ hohe Marketingaufwendungen voraus, die bei einer kombinierten Pull-/Push-Strategie noch zusätzlich zu den Vertriebsaufwendungen finanziert werden müssen.

  • Braucht langen Vorlauf
    Markenbekanntheit und -präferenz lassen sich nicht von heute auf morgen aufbauen, sondern erfordern i. d. R. längere Vorlaufzeiten, bis entsprechende Nachfrage in einer breiten Zielgruppe wirksam wird.

  • Kann auch dem Wettbewerb nützen
    Gelingt es im zweistufigen Vertrieb nicht, die eigenen Produkte parallel zur steigenden Nachfrage zu platzieren, könnten Kaufinteressenten auf verfügbare Alternativen ausweichen und ihren Bedarf vergleichbare Angebote der Mitbewerber decken.



Woher kommt die Skepsis gegenüber Pull-Marketing?
Viele Anbieter mit gewerblicher Kundschaft (B2B) glauben, dass sich diese gewerblichen Kunden in ihrem Informationsverhalten und Kaufentscheidungsprozess grundlegend anders verhalten als private Kunden (B2C). Gewerbliche Kunden würden sich grundsätzlich nur an objektiven faktischen Kriterien orientieren, wenn sie ihre Kaufentscheidungen treffen. Digitale Kanäle würden sie bei der Informationsbeschaffung und im Kaufprozess weitgehend meiden und werbliche und emotionale Ansprache würde an ihnen wirkungslos abprallen. Und schon alleine deswegen mache eine Pull-Strategie gar keinen Sinn und man solle sich lieber darauf konzentrieren, die Ware über einen starken Vertrieb und kräftigen Push in den Handel zu drücken und einen möglichst großen Anteil der zur Verfügung stehenden Regalflächen mit den eigenen Produkten zu besetzen.

Soweit die Theorie vieler Mittelständler mit vorwiegend gewerblicher Kundschaft. Die Skepsis gegenüber Pull-Strategien und damit auch gegenüber dem Marketing ist verständlich, haben sie ihre Unternehmen oft über Jahrzehnte mit harter Vertriebsarbeit aufgebaut und sind zu recht stolz auf ihre guten Beziehungen zu den Einkäufern im Handel.

Die Macht der Händler wächst.
Allerdings hat der Wind gedreht, die vielen kleinen und regionalen Fachhändler verschwinden und große Handelsorganisationen und Einkaufsverbände übernehmen sukzessive deren Geschäft. Damit verschieben sich auch die Machtpositionen zwischen Hersteller und Handel zuungunsten vieler Hersteller. Die großen mächtigen Händler sind sich ihrer Gatekeeper-Funktion zu den Endkunden und der mangelnden Alternativen Vertriebskanäle bewusst und ziehen die Daumenschraube gegenüber ihren Lieferanten immer mehr an. Die fortschreitende Internationalisierung des Wettbewerbs unter den Herstellern und die asiatischen Billiganbieter spielen ihnen in die Hände. Die heute so entscheidenden Kundendaten werden gegenüber den Herstellern abgeschirmt und zum eigenen Vorteil genutzt. Händler etablieren sich mit strategischem Pull-Marketing selbst als starke Marken und zwingen Hersteller zu OEM-Geschäft (der Hersteller produziert nach den Spezifikationen des Händlers und liefert seine Ware mit dem Markenlogo des Händlers aus) und degradiert Markenhersteller zu gesichtslosen, austauschbaren Zulieferern.


Mehr zum Thema B2B-Marketing auch in folgenden Beiträgen hier im Blog:

»Warum immer mehr B2B-Marken ihre menschliche Seite entdecken.«

»Bauch sticht Kopf – Warum gerade B2B-Brands in Marke, Marketing und Storytelling investieren sollten.«

»Zwischen Kopf und Bauch mitten ins Herz – wie viel Emotionalität verträgt euer B2B Marketing?«

»B2B meint nicht Boring to Boring!«


Pull-Marketing bedeutet Emanzipation für viele Hersteller.
Hersteller, die aus dieser auf Dauer ungesunden Abhängigkeit ausbrechen wollen, bleibt nur der direkte Draht zu ihren Endkunden. Sie müssen über effektives Pull-Marketing dafür sorgen, dass ihre Produkte, Dienstleistungen und Marken wieder als so begehrlich und einzigartig empfunden werden, dass es sich Händler gar nicht leisten können, auf ihre markierten Produkte zu verzichten. Am besten funktioniert diese gesunde Emanzipation, wenn die Hersteller parallel eigene Vertriebskanäle (Direct to Consumer) aufbauen und es ihren Kunden leichter machen, Begehrlichkeit barrierefrei mit wenigen Klicks in Kauf umzuwandeln und ganz einfach online im Shop des Händlers zu bestellen.

Warum sich dieselben Menschen, die sich als Privatperson bewusst oder unbewusst von Werbung inspirieren und beeinflussen lassen, die neuen digitalen Möglichkeiten zur Informations- und Produktbeschaffung schätzen und in immer höherer Zahl auch nutzen davon Abstand nehmen sollen, nur weil sie den Blaumann oder das Jacket überziehen und in die Rolle eines gewerblichen Kunden schlüpfen, kann ich nicht nachvollziehen.

Gerade im B2B-Marketing sind die persönlichen Kontakte zu den Endkunden doch viel wichtiger als in den typischen B2C-Massenmärkten, wo sich Direct Marketing häufig gar nicht rechnet. Gerade im B2B-Kontext kommen der Datensammlung und -nutzung und der Customer Relationship eine viel wichtigere Bedeutung zu als in B2C-Märkten.

Hersteller, die jetzt ihrem Push-Marketing sinnvolles Pull-Marketing zur Seite stellen und dabei die Chancen konsequent nutzen, die uns die digitalen Kanäle für die Kommunikation und den Vertrieb bieten, können sich aus dem Würgegriff des Handels ein Stück weit befreien und investieren so in die eigene starke Marke. Auch und gerade in B2B-Märkten.

Zusammenfassung:

  • Push-Marketing bringt das Produkt zum Verbraucher, während Pull-Marketing den Verbraucher zum Produkt bringt.

  • In der perfekten Welt ergänzen und stützen sich Pull- und Push-Marketing.

  • Wer auf Pull-Marketing und eigene, direkte Vertriebskanäle verzichtet begibt sich in eine gefährliche Abhängigkeit vom immer stärker werdenden Handel und ist abgeschnitten von wertvollen Kundendaten.

  • Es gibt keinen Grund zur Annahme, dass sich Kunden grundsätzlich anders informieren und kaufen, wenn sie als Privatperson einkaufen (B2C) oder als gewerblicher Einkaufsentscheider (B2B).


Der BrandDoctor hilft bei wichtigen Markenentscheidungen mit Tragweite.
Als BrandDoctor helfe ich Unternehmern, Gründern und Marketingverantwortlichen sowie Marken- und Designagenturen dabei, ihre wichtigen Marken- und Marketingentscheidungen professionell und Erfolg versprechend zu treffen. Mit innovativen Tools unterstütze ich sie, das wichtige strategische Fundament dafür zu legen, mit ihren Marken nachhaltig erfolgreich am Markt zu agieren.

Über den Autor: Andreas Wiehrdt entwickelt und revitalisiert Marken seit über 20 Jahren. Alleine, als Markenstrategieberater oder im Team mit erfahrenen Spezialisten aus seinem Kompetenznetzwerk.