Wettbewerb neu definieren und ihm dann davonlaufen.

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München, den 17.12.2020

Wettbewerb neu definieren und ihm dann davonlaufen.

Neun der zehn wertvollsten Unternehmen der Welt können ihren Erfolg darauf zurückführen, dass sie die Grenzen ihres Marktes neu definiert oder verschoben haben. Von Google über Apple bis hin zu Amazon, diese Firmen haben Märkte dynamisiert und disruptet, die andere lange als statisch ansahen. Oder nehmen wir Tchibo, die mit ihren hochkompetitiven engen Markt als Kaffeeröster einfach neu definierten und heute mit ihrem wöchentlich wechselnden Sortiment an Impulsprodukten (»Jede Woche eine neue Welt«), Reisen, Versicherungen und Handyverträgen dem ruinösen Preiswettbewerb im Kaffeemarkt erfolgreich entfliehen. Wie könnt auch ihr den Herausforderungen hyperkompetitiver Märkte entfliehen und neue Wege beschreiten?

Der ganz falsche Ansatzpunkt wäre, einfach die Kunden zu fragen, was sie sich denn anderes wünschen würden, denn sie würden ja in der überwältigenden Mehrheit auf der Grundlage der heutigen Marktsituation antworten. (Ich erspare euch hier den allseits beliebten Verweis auf das vermeintlich berühmteste Henry Ford-Zitat mit den schnellen Pferden.) Stattdessen müssen wir tiefer suchen und die zugrunde liegenden Bedürfnisse entdecken, die Kunden dazu bewegen, ein bestimmtes Produkt oder eine Dienstleistung überhaupt zu kaufen.

In diesem Post möchte ich das Konzept der Customer Jobs vorstellen und aufzeigen, wie man mit dessen Hilfe aus einem engen, hyperkompetitiven Wettbewerbsumfeld ausbrechen und durch innovative Ideen Mehrwert und Markenpräferenz seines Angebots steigern kann. Mit sechs praxisnahen Tipps kann jeder für seine Marke überprüfen, was das bessere Verständnis der Customer Jobs für sein Business erreichen kann.

Der berühmte Harvard-Business-School-Professor Clayton M. Christensen, der den Begriff »Disruptive Innovation« bekannt ist, ist vermutlich der erste, der sich über das Konzept des »Customer Jobs« den schlauen Kopf zerbrach. In seinem Buch »The Innovator's Solution« von 2003 riet er: »Verkaufen Sie keine Produkte und Dienstleistungen an Kunden, sondern helfen Sie Menschen dabei, ihre Aufgaben zu erledigen.« Diese scheinbar einfache Idee hat tief greifende Auswirkungen auf die Neudefinition von Märkten und Branchen.

Nehmen wir das Beispiel der aktuell arg gebeutelten Kinobetreiber. Wenn die ihre Besucher fragen, warum sie ins Kino gehen, bekommen sie sicher unisono die Antwort »Weil wir den Film sehen möchten.« Würde ich den Kinobetreiber beraten, würden wir sicher tiefer graben und weitere Customer Jobs zutage fördern. Da sind bestimmt einige Kinobesucher, die einfach nur für zwei Stunden abschalten möchten. Dann sind da welche, die mitreden möchten in ihrem sozialen Umfeld über einen angesagten Film. Sicher gibt es Jugendliche, denen der Film herzlich egal ist, weil sie einfach ihrem Freund oder ihrer Freundin zwei Stunden »etwas näher kommen« und bestenfalls knutschen möchten. Und dann ist da noch der genervte Familienvater, der eine quengelige Geburtstagsgesellschaft aus fünf Siebenjährigen für ein paar Stunden beschäftigen muss. Ein nahe liegender (Film sehen) und vier weitere Customer Jobs (Im Dunkeln knutschen, mitreden können, entspannen, Kids entertainen), die Menschen ins Kino treiben.

Und was fängt der Kinobetreiber damit an? Zum einen erweitert er damit seinen Marktbegriff und definiert sein Wettbewerbsfeld ganz neu, zum anderen bieten ihm die Customer Jobs ganz neue Ansätze, um sich von den anderen Kinobetreibern durch innovative Angebote oder Lösungen zu differenzieren. Da wären die »Love Seats«, die er mit Aufpreis an die Jugendlichen verkaufen könnte. Dann wäre da die Idee der VIP-Relax-Massagesessel für alle Entspannungssuchenden, die Idee des Info-Flyers mit gesammelten Filmkritiken für alle, die mitreden wollen und für den Familienvater in Not könnte der Kinobetreiber sein Indoor Entertainment für Kids etwas aufrüsten.

Die Value-Proposition-Canvas-Methode von Strategyzer hilft dabei, die tatsächlichen Customer Jobs potenzieller Kunden zu identifizieren und später zu adressieren.

Wenn ich meinen Auftraggebern dabei helfe, die Positionierung ihrer Marken zu schärfen, geht es auch immer darum, das Wettbewerbsfeld neu zu definieren. Dabei hilft es uns enorm, sich die Customer Jobs genau anzusehen. Unter Customer Jobs verstehe ich die Herausforderung oder die Aufgabe, die ein Mensch mithilfe eines bestimmten Produkts oder einer bestimmten Dienstleistung meistern oder erledigen möchte.

Customer Jobs sind auch der wichtige Ausgangspunkt der Value Proposition Canvas-Methode des Strategie-Trainings-Anbieters Strategyzer, deren Ziel es ist, ein relevantes und attraktives Nutzenversprechen für die eigene Marke zu definieren. Eine Methode, die ich (seit diesem Monat sogar mit ausgewiesenen Abschluss des entsprechenden Trainings) in speziellen Value-Proposition-Workshops einsetze.

Aber jetzt zu den versprochenen 6 Tipps, wie man die Customer Jobs oder Jobs-to-be-done, wie Professor Christensen die Aufgabe oder die Herausforderung nennt, die eure Kunden mit Hilfe eurer Marke meistern möchten.

1. Customer Jobs umfassend definieren
Anstatt nur darauf zu schauen, welche Produkte oder Dienstleistungen und welche Marken die Leute kaufen, untersuchen Sie die wahren Bedürfnisse und Herausforderungen, die hinter dem Kaufverhalten und den Markenentscheidungen stehen. Manchmal ist die Aufgabe, also der Customer Job viel weiter gefasst als das Produkt oder die Dienstleistung, die zu dessen Erledigung gekauft wird. Warum bin ich zum Beispiel am Sonntagnachmittag mit fünf kleinen Kindern ins Kino gegangen? Weil ich sie an einem regnerischen Tag für ein paar Stunden aus dem Haus bringen musste. Könnten Kinos ihren adressierbaren Markt erweitern, indem sie sich als ideale Lösung anbieten, um Kinder ein paar Stunden beschäftigen zu können? Was wäre, wenn in dem Raum, der heute noch für das fünfzehnte Minikino genutzt wird, stattdessen kostengünstige Spielgeräte wie sonst in einem Indoor-Kinderparadies angeboten würden?

2. Wettbewerbsumfeld neu denken.
Die zu erledigenden Aufgaben können sich über Dutzende von Branchenkategorien erstrecken. Es ist klar, dass euer Unternehmen nicht für jeden Customer Job eine Lösung bieten kann, aber indem ihr euch einen Überblick verschafft, könnt ihr eure wahre Konkurrenz ganz neu definieren. Sobald ihr erst einmal eure tatsächliche Wettbewerbslandschaft verstanden habt, könnt ihr euer Angebot ganz neu und kreativ ausweiten. Kinos wollen vielleicht nicht in Indoor-Spielplätze investieren, aber sie müssen Indoor-Spielhallen als einen ebenso realen Konkurrenten sehen wie das gefürchtete Multiplex-Kino am Rand der Stadt. Durch das neue Verständnis der wahren Customer Jobs lässt sich das Wettbewerbsfeld ganz neu und größer denken.

3. Sich bei »neuen« Mitbewerbern Ideen holen.
Die meisten Unternehmer beschränken sich darauf, die nahe liegenden Wettbewerber zu analysieren und zu benchmarken. Das haben wir alle so gelernt und das ist eine einfache Übung. Definiert man sein Wettbewerbsumfeld breiter und aus Sicht seiner Kunden und deren Customer Jobs, bieten sich plötzlich ganz neue Ideen, wie man das eigene Produkt oder die eigene Dienstleistung um neue, sinnvolle Ideen und Angebote erweitern und damit verbessern kann. Indem ihr die gesamte Bandbreite der »neuen« Konkurrenz und deren Angebote analysiert, eröffnen sich ganz neue Räume für Ideen, die euer Angebot nicht nur verbessern, sondern auch vom »alten« Wettbewerb positiv abgrenzen. Zum Beispiel könnte sich unser Kinobetreiber von Legoland und der Jump-House-Kette inspirieren lassen.

4. Welche Entscheidungskriterien verwenden die Kunden?
Viele psychologische Untersuchungen haben gezeigt, dass selbst schrecklich komplizierte Kaufentscheidungen oft auf eine kleine Handvoll Entscheidungskriterien reduziert werden, die Menschen zu einem bestimmten Zeitpunkt im Kopf behalten können. Welche sind das für eure Branche? Welche Adjektive beschreiben eine gute Lösung aus Sicht eurer Kunden? Wenn ihr euren Kunden diese Fragen stellt, können sich überraschende Ideen und Ansätze zur Verbesserung eures Angebots und zur effektiveren Vermarktung auftun.

5. Was hindert neue Lösungen daran, angenommen zu werden?
Entscheider sind oft zu schnell in ihre eigenen Ideen verliebt. Leider setzen sich selbst scheinbar überzeugenden Ideen manchmal sehr langsam durch. So dauerte es über 4.000 Jahre seit der Erfindung von Indoor-Toiletten, bis sie sich endlich in der breiten Masse durchsetzten. Ist eure neue Idee wirklich besser als ein Innenklo? Denkt diszipliniert über alle potenziellen Hindernisse und Bedenken nach, die der Einführung neuer Lösungen in eurer Branche im Wege stehen. Im Value-Proposition-Canvas-Modell spricht man Customer Pains oder Pain Points. Das sind Bedenken oder sogar Ängste, die Kunden potenziell davon abhalten könnten, ein Produkt oder eine Dienstleistung zu kaufen.

6. Welchen Wert kann eure neue Lösung für den Kunden haben?
Erst wenn ihr wirklich verstanden habt, welche Herausforderung euer Kunde mit eurer Lösung meistern möchte (Customer Jobs) und welche positiven Erfolgserlebnisse und Ergebnisse euer Kunde mit Erledigung seiner Aufgabe verbindet (Customer Gains) könnt ihr auch den relativen Wert verschiedener neuer Lösungsideen und Angebote richtig einschätzen und einpreisen. Lösungen mit geringeren »Pains« aber größeren potenziellen »Gains« lassen sich auch teurer verkaufen.


Das bessere Verständnis der Customer Jobs und der damit einhergehenden wünschenswerten Erfolgserlebnisse (Customer Gains), aber auch der Ängste und Bedenken (Customer Pains) führt zu einer völlig neuen und offeneren Betrachtungsweise des eigenen Wettbewerbsumfelds. Das wiederum eröffnet ganz neue Räume für die Optimierung des eigenen Angebots und hilft dabei, sich positiv vom Wettbewerb abzuheben.

Wenn ihr Lust habt, das mal für eure Zielgruppen durchzuspielen, biete ich euch meinen Value Proposition Workshop an, der sich auch auf einen halben Tag verkürzen lässt, wenn es zunächst nur um das Identifizieren der wahren Customer Jobs gehen soll.


Als BrandDoctor helfe ich Unternehmern, Gründern und Marketingverantwortlichen dabei, ihre wichtigen Marken- und Marketingentscheidungen professionell und Erfolg versprechend zu treffen. Markendesignagenturen helfe ich, ihre Auftraggeber besser und ganzheitlicher zu beraten und das wichtige strategische Fundament für die weiteren Designprojekte zu erarbeiten. Mit innovativen Tools unterstütze ich, das wichtige strategische Fundament dafür zu legen, mit ihren Marken nachhaltig erfolgreich am Markt zu agieren.

Über den Autor: Andreas Wiehrdt entwickelt und revitalisiert Marken seit über 20 Jahren. Alleine, als Markenstrategieberater oder im Team mit Experten aus seinem Netzwerk.

Andreas Wiehrdt

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