Ist Brand Loyalty ein Konzept von gestern?
Ist Brand Loyalty ein Konzept von gestern?
Autor: Andreas Wiehrdt
München, den 08.03.2022
Titelbild: iStockPhoto
Die guten alten großen Marken spüren es schon länger, die Zeiten in denen Kinder das Waschmittel der Mutter fast automatisch kaufen, sind wohl endgültig vorbei. Hatte es eine Marke erst einmal geschafft, unsere Loyalität zu gewinnen, kauften wir sie ganz automatisch wieder und wieder. Vielleicht auch, weil wir wussten, was wir an der Marke hatten und weil wir faul waren. Niemand hatte Lust Tag für Tag neue Kaufentscheidungen zu treffen, Optionen zu bewerten, Preise zu vergleichen.
Auftritt der Millennials. Kaufte die Familie früher Woche für Woche Kellogg's, weil es einfach praktisch war – ein schnelles, leckeres Frühstück, dass sich die Kids sogar selbst zubereiten konnten – sind Kellogg's und andere Zerealien heute für viele ein No-Go. Ungesund, reich an Kohlehydraten und Zucker, weder nachhaltig noch fair produziert, Purpose-frei und darüber hinaus auch noch unpraktisch: Schließlich muss man immer Milch im Haushalt haben, macht diverse Schüsseln dreckig und kann Zerealien nicht »To-go« auf den Weg zur Arbeit mitnehmen.
In diesem Beitrag will ich versuchen zu erklären, warum es die etablierten Marken heute schwerer haben, loyale Markentreue an sich zu binden und welche Maßnahmen hilfreich sein können, um Markentreue trotzdem an unsere Marken zu binden.
Nicht nur Kellogg's spürt, wie klassische Marken an Relevanz verlieren. Untersuchungen zeigen, dass fast alle alten etablierten Marken mit ihrer Wiederkaufrate (aka Markenloyalität) zu kämpfen haben. Die Erosion der Verbrauchertreue bei den angesehensten Marken ist Ausdruck einer veränderten Philosophie des Kaufens. Der Maßstab für den Markenwechsel ist nicht mehr die mangelnde Leistung einer Marke, sondern ihre Unfähigkeit, bei jedem einzelnen Kaufzyklus wie eine völlig neue und interessante Option zu erscheinen.
Was hat die Markentreue gekillt?
Die Verbraucher sind Marken gegenüber längst nicht mehr so loyal, wie sie es früher waren, auch weil der zugrunde liegende Wert der Treue scheinbar nicht mehr zeitgemäß ist. In der alten Welt war Loyalität etwas Gutes und etwas, das wir in allen Lebensbereichen geben und erhalten wollten – gegenüber Freunden, Familie, Arbeitgebern, Ärzten, Bankern und vielleicht sogar gegenüber der Regierung. Aber Loyalität als Wert hat in den jungen Generationen an Bedeutung verloren. Loyalität bedeutet heute, den Staus Quo anzuerkennen, sich zufriedenzugeben und nicht nach Alternativen zu suchen. Den Kopf in den Sand zu stecken und vielleicht sogar ein besseres Leben zu verpassen.
In den letzten drei Generationen zeigt sich diese veränderte Einstellung zur Treue auch in den Bereichen Partnerschaft, Religion, Politik und Unternehmen.
Die »Meaningful Brands Studie« von HAVAS, eines der größten weltweit agierenden Agentur-Netzwerke zeigt, dass Marken massiv an Vertrauen einbüßen.
Das neue Credo lautet: Veränderung ist gut. Nichts, das man fürchten oder vermeiden sollte. Und das Verlangen nach Veränderung nimmt immer schneller zu.
Das mag auch der Grund sein, warum gerade jüngere Kunden den als disruptiv eingeschätzten Marken mit fliegenden Fahnen zulaufen. Alte Gewohnheiten aufbrechen, innovativ und disruptiv sein an sich sind schon Eigenschaften von Marken und Unternehmen, die offensichtlich immer mehr geschätzt werden.
Mehr zum Thema Markentreue auch in meinem Beitrag »Warum treue Stammkunden gerade in der Krise unbezahlbar sind.« hier im Blog.
Misstrauen ist der Feind der Loyalität.
Besonders Millennials neigen dazu, der Regierung, der Presse sowie Finanzinstituten und Unternehmen zu misstrauen. Der Glaube, dass groß und bewährt an sich schon schlecht ist, steht in direktem Zusammenhang damit, dass alteingesessene Produkte und Dienstleistungen unter Generalverdacht gestellt werden, raktionär und langweilig zu sein, im Vergleich zu Start-ups und Innovatoren. Hinzu kommt, dass die Meinung von Fremden im Internet heute überzeugender scheint, ist als die wohl gewählten Botschaften von Unternehmen.
Junge Gehirne wollen stimuliert sein.
Wir sind im wahrsten Sinne des Wortes nicht mehr daran gebunden, bei dem zu bleiben, was wir kennen. Die tägliche Nutzung neuer Technologien scheint die Funktionsweise des Gehirns verändert zu haben, und zwar überproportional in der Generation, die früh gelernt hat, digital zu denken. David Levy, Professor an der Information School der University of Washington, nennt das Phänomen »Popcorn-Gehirn« und beschreibt damit Gehirne, die so an die ständige Stimulation durch elektronisches Multitasking gewöhnt sind, dass die Verbraucher versuchen, diese Erfahrung offline zu wiederholen, wo die Dinge nun leider in einem viel langsameren Tempo »poppen«.
Der Wandlungsfähige siegt.
Den Auslöser all dieser Trends könnte man als Misstrauen bezeichnen, aber die Realität ist vermutlich eher positiv. »Neu« scheint einfach grundsätzlich besser als »bekannt« und »bewährt«.
Hier liegt die Herausforderung für die großen alten etablierten Marken. Sich laufend neu zu erfinden, liegt nicht in ihrer DNA. Lange Innovationszyklen und hoher Profitdruck ungeduldiger Aktionäre stehen einer Innovationskultur grundsätzlich entgegen.
Aber nur wenn es den etablierten Marken gelingt, sich laufend neu zu inszenieren, das Markenerlebnis überraschend zu variieren, ohne ihren Markenkern zu kompromittieren, werden sie ihren Platz in den Herzen ihrer Stammkunden behaupten können.
Wie sich etablierte Marken sich neu inszenieren:
Persil - Der einzige deutsche Online-Wäscheservice. Im Jahre 2007 feierte Persil seinen 100. Geburtstag mit dem kalauernden Slogan »100 Jahre Persil – Rein in die Zukunft«. Mit dem ersten deutschen Online-Wäscheservice gelingt es der guten alten Waschpulvermarke clever auf aktuelle Trends wie Home Delivery und Online Services zu setzen und sogar in Aussicht zu stellen, das Reinigungsgewerbe zu disruptieren.
Kellogg's Cereal Café Im Jahr 2020 eröffnet der oben erwähnte Zerealien-König Kellogg's sein Cereal Café am Times Square mitten in Manhattan. Hier sollen Hungrige aus der ganzen Welt rund um die Uhr frühstücken und völlig neue, zeitgemäße Zerealiengerichte entdecken können.
EDEKA jetzt supergeil. Spätestens seit der »Supergeil«-Kampagne mit Unterhaltungskünstler Friedrich Liechtenstein ist der gute alte EDEKA nicht mehr der verstaubte Lebensmittelhändler um die Ecke. Mit teils schrägen oder hochemotionalen Kampagnen inszeniert sich die ehemalige Einkaufsgenossenschaft der Kolonialwarenhändler im Halleschen Torbezirk zu Berlin laufend neu und geriert sich als hochmoderne Marke für anspruchsvolle Kundinnen und Kunden von heute.
Jägermeister on the Rocks. Um nicht in die undankbare Sphäre der Berufstrinker am Büdchen und damit in die Bedeutungslosigkeit zu versinken, erfand sich der bittere Kräuterlikör, aus dem niedersächsischen Wolfenbüttel kurzerhand neu. Mit seinen »Jägerretts« genanten Promo-Teams machte die Mast-Jägermeister AG Jagt auf hippe Barflies. So gelang es Jägermeister, aus dem lauwarmen Likörchen, das man nach dem Essen trank, ein cooles Szenegetränk zu machen, dessen Kühler heute auf den Theken angesagter Bars in aller Welt thronen.
Start-up-Feeling bei großen Marken.
Viele große Marken investieren inzwischen in Start-ups oder gründen eigene Inkubatoren, um sich ungehindert von eingefahrenen Organisations- und Prozessstrukturen agil neu zu erfinden. Seit vielen Jahren deshalb der Hautpflege-Riese Beiersdorf auf Open Innovation, um enge, zukunftsfähige Partnerschaften zu knüpfen – zum Beispiel mit Universitäten, Forschungsinstituten und individuellen Wissenschaftlern und Entwicklern.
Vom Wirtschaftsmagazin CAPITAL wurde der Telefonica-Incubator Wayra im letzten Jahr 2020 als zweitbestes Innovation Lab in Deutschland ausgezeichnet.
Schlussfolgerungen für Markenverantwortliche:
Es wird zunehmend schwerer, Marken-loyale Kunden zu kultivieren und an die Marke zu binden.
Alte Markenwerte wie Kontinuität und Solidität verlieren zunehmend an Attraktivität. Die neuen Kunden suchen nach Abwechslung und neuen Markenerfahrungen.
Etablierte Marken müssen sich laufend neu erfinden und innovative Wege finden, den Kern der Marke neu und zeitgemäß zu inszenieren.
Neue Produktvarianten, neue Einkaufsquellen und Konsumwege, Pop-up-Experiences, disruptive Lösungen und Kooperationen mit agilen, hochinnovativen Start-ups können dabei helfen, abwechslungshungrige Kunden wieder an die Marke zu binden.
Wenn ihr nach Strategien und Ideen sucht, eure Marke attraktiv und lebendig zu halten, helfe ich euch sehr gerne dabei diese Herausforderung zu meistern.
Der BrandDoctor hilft bei wichtigen Markenentscheidungen mit Tragweite.
Als BrandDoctor helfe ich Unternehmern, Gründern und Marketingverantwortlichen sowie Marken- und Designagenturen dabei, ihre wichtigen Marken- und Marketingentscheidungen professionell und Erfolg versprechend zu treffen. Mit innovativen Tools unterstütze ich sie, das wichtige strategische Fundament dafür zu legen, mit ihren Marken nachhaltig erfolgreich am Markt zu agieren.
Über den Autor: Andreas Wiehrdt entwickelt und revitalisiert Marken seit über 20 Jahren. Allein, als Markenstrategieberater oder im Team mit erfahrenen Spezialisten aus seinem Kompetenznetzwerk.