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Warum Zielgruppen einen Vornamen brauchen.

Photo by Elijah Boisvert on Unsplash

München, den 25. November 2020

Personas oder genauer Persona-Steckbriefe bevölkern seit einiger Zeit die Whiteboards in den Büros und Meeting-Räumen meiner Auftraggeber. Diese relativ neue Form der Zielgruppenvisualisierung ist ganz offensichtlich derzeit recht beliebt in Marketing und Vertrieb. Aber sind Personas nun – wie es Research-Profi Dirk Engel kürzlich in einem Artikel für die Werberfachzeitschrift HORIZONT treffend fragt – »Eine eigene Marktforschungs-Methode [sic!], ein hilfreiches Strategie-Tool oder nur die Illustration von Vorurteilen und Wunschvorstellungen?«.

In diesem Beitrag möchte ich die Chancen und Risiken von Personas als Instrument eines neuen zielgruppenzentrierten Marketings bewerten und erklären, wie man solche Persona-Steckbriefe selbst entwickeln kann. 

Personas sind inzwischen sehr beliebt bei Marketern und Vertrieblern, aber auch bei UI-, UX- und Softwareentwicklern. Und wie so häufig stammt dieses relativ neue Verfahren, sich seine Zielgruppen nahbarer zu machen, auch aus der Ecke dieser agilen Softwareentwickler. Persona-Steckbriefe hängen überall zwischen den obligatorischen Haftnotizen an den Kanban-Boards der UX-ler und Softwareentwickler, um sie tagtäglich daran zu erinnern, wer ihre Software oder App später nutzt und warum.

Als ich das erste Mal einen Fuß in eine Werbeagentur setzte, war man noch voll auf dem soziodemografischen Zielgruppentripp. Unter Zielgruppenbeschreibung verstand man so etwas wie »Jüngere Männer und Frauen in deutschen Großstädten mit einem Haushaltsnettoeinkommen von über 3.000 DM [sic!]» Nichts über deren geheime Wünsche, Herausforderungen (damals durfte man sie sogar noch Probleme nennen!), Werte, Haltungen und geschweige denn Sozialisierung und Milieu. Dann kamen die Typologien und Milieu-Kartoffelgrafiken der moderneren Marktforschungsinstitute und bescherten uns Typen wie »Rolf, den renitenten Rentner« und »Yannik, den karrieregeilen Yuppie«. Später kamen dann noch die Generations von »Baby Boom« bis »Gen Z« und Tribes hinzu. Mehr darüber in meinem Post »Sind Tribes der neue heiße Schei... für's Marketing?« hier im Blog. Und heute haben wir nun die Persona-Steckbriefe.

Sinn und Zweck all dieser Annäherungen an Verbrauchergruppen ist, seine wichtige Zielgruppe besser kennenzulernen, ihre Herausforderungen, Wünsche und Bedürfnisse,  aber auch ihre Einstellungen und Wertvorstellungen besser zu verstehen, um die eigenen Produkte und Dienstleistungen sowie die Marken dahinter besser auf die Zielgruppen abzustimmen und sie dadurch attraktiver zu machen.

Und eine geeignete Methodik hierfür ist die der Persona. Der Name »Persona« stammt vermutlich von den alten Römern. Er bezeichnete eine Maske, die Schauspieler in jener Zeit trugen. Wir wollen unter Persona den prototypischen fiktionalen Stellvertreter eines bestimmten Zielgruppensegments verstehen, der wichtige Eigenschaften einer Zielgruppe in sich vereint. Ein Avatar, den sich Marketingentscheider aus verschiedenen Quellen zusammen basteln und der die anvisierte Zielgruppe perfekt repräsentieren soll. Zur besseren Unterscheidung gegenüber anderen Zielgruppensegmenten erhält jede Persona einen aussagekräftigen Namen. Haben die Marketing- und Vertriebsverantwortlichen ihre Personas erst einmal verinnerlicht, wird es viel einfacher, sich über komplexe Zielgruppeneigenschaften zu verständigen. Es genügt dann, den Namen der Persona zu nennen.

Templates für Persona-Steckbriefe gibt es zuhauf kostenfrei im Internet (Grafik: (c) 2020 BrandDoctor)

Welche Informationen sollte ein Persona-Steckbrief enthalten?
Da gibt es ganz unterschiedliche Auffassungen. Eine gute Herangehensweise wäre, sich vorher Gedanken dazu zu machen, welcher Art Information und Wissen über die Zielgruppe wirklich nötig und wichtig wäre, um Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln und anschließend erfolgreich zu vermarkten (Soviel wie nötig, so wenig wie möglich). Häufig sehe ich Persona-Steckbriefe, die mit Informationen überladen wurden und dabei die wirklich wichtigen Informationen unter redundanten verschütten. 

Die meisten Steckbriefe enthalten mindest die folgenden Informationen:

  • einen fiktiven Namen

  • ein prototypisches Porträtfoto

  • ein Credo oder Zitat

  • die Psychografie (Lifestyle, Milieu etc.)

  • die Weltanschauung und Haltung

  • die Herausforderung, die mithilfe des Produkts/der Dienstleistung gemeistert werden soll

  • die Einstellung zur Marke

  • die wichtigsten Informationsquellen/Touchpoints zur Marke

  • potenzielle Motive und Barrieren unser Produkt/unsere Marke zu nutzen

Templates für Persona-Steckbriefe gibt es Internet zuhauf. Letztlich muss jeder selbst damit experimentieren und herausfinden, welche Attribute relevant und welche weniger nützlich sind. Wer wenig Erfahrung mit der Erstellung von Persona-Steckbriefen besitzt, sollte für einen Persona-Workshop einen erfahrenen Moderator oder Berater hinzuziehen. Auch, um zu vermeiden, dass die Ergebnisse durch eine ungefilterte Innenansicht verzerrt werden.

Es gibt drei grundsätzlich unterschiedliche Ansätze, um die nötigen Daten für Persona-Steckbriefe einzusammeln (Grafik: (c) 2020 BrandDoctor)

Wie komme ich an die nötigen Informationen?
Der Marktforscher Dirk Engel referiert in einem Aufsatz für den Fachtitel HORIZONT (https://bit.ly/3pIqWWg) über den Sozialforscher und Inhaber der Point Blank Research & Consultancy GmbH Dr. Gerhard Keim (https://www.linkedin.com/in/gerhardkeim/) und dessen drei alternative Wege, Daten für Personas zu sammeln. Dr. Keim unterscheidet demnach zwischen:

  1. dem Guessing Game, 

  2. dem interview-basierten, qualitativen Ansatz und 

  3. einem multimethodischen, repräsentativen Forschungsdesign-Ansatz. 

Beim Guessing-Game-Ansatz werden – so Engel über Dr. Keim – »… einfach Annahmen getroffen, mehr oder minder ohne Empirie, gerne in einem innerbetrieblichen Workshop oder einem Brainstorming.«. Viel belastbarer, weil auf Basis quantitativer und qualitativer Informationen aber auch aufwendiger und kostenintensiver sei der multimethodische, repräsentative Forschungsdesign-Ansatz und als Mittelweg böte sich der interview-basierte, qualitative Ansatz an: »Eine begrenzte Anzahl systematischer Kundeninterviews liefert ausreichend Erkenntnisse, um den Entscheidungsprozess zu verstehen und die kritischen Faktoren zu identifizieren.«

Hier scheiden sich also die Geister. Wir wissen, dass Personas umso aussagekräftiger werden, je repräsentativer und sicherer die zugrunde liegenden Daten sind. Die Erhebung solcher Daten kostet Geld und Zeit. Deswegen sehen andere in Personas aus dem Guessing Game einen kostengünstigeren Weg, um mit Bordmitteln schneller zu praktikablen Zielgruppenbeschreibungen zu kommen. 

Letztlich sollte man die Datenquelle und -tiefe von den zur Verfügung stehenden Ressourcen und der gewünschten Entscheidungssicherheit abhängig machen. 


Wie ihr  Buyer-Persona-Steckbriefe für eure Zielgruppen entwickelt und anschließend schrittweise durch Kundeninterviews validiert, erfahrt ihr in meinem Beitrag »Realitätsnah und präzise: Wie ihr eure Buyer Personas mit Kundeninterviews Schritt für Schritt validiert.« hier im Blog.


Was sind die Vor- und Nachteile der Persona-Methodik?

  • Personas sind ein schneller, unkomplizierter und ressourcenschonender Weg zu einem besseren Verständnis wichtiger Zielgruppen.

  • Aufgrund ihrer Anschaulichkeit sind Persona-Steckbriefe ein guter Weg, auch weniger erfahrenen, empathischen Mitarbeitern wichtige Zielgruppen und ihre Bedürfnisse nahezubringen.

  • Personas schaffen Empathie, da sie wichtigen Zielgruppensegmenten ein Gesicht und einen Namen geben.

  • Personas helfen, den Fokus aller marketingrelevanter Aktivitäten auf die wirklich wichtigen Zielgruppen zu lenken.

  • Personas sind allgegenwärtig. Anders als die alten Zielgruppenbeschreibungen, die in dicken Strategiedokumenten verschimmeln, können Persona-Steckbriefe jederzeit sichtbar im Büro hängen.

  • Personas können letztlich im Unternehmen selbst quasi mit Bordmitteln erstellt werden. 

  • Werden Persona-Steckbriefe nicht auf Basis repräsentativer, valider Daten erstellt, besteht (wie beim »Guessing-Game«) die große Gefahr, dass die getroffenen Annahmen (innerbetrieblicher Workshop oder Brainstorming) eher eine verzerrende Innenansicht als eine repräsentative Außenansicht widerspiegeln.

  • Je nach Nutzung der Persona-Steckbriefe als Entscheidungsgrundlage für Produkt- oder Marketingkampagnenentwicklung können falsch getroffene Annahmen zu kostenintensiven Fehlentscheidungen führen.

  • Personas können die falsche Sicherheit vorgaukeln, komplexe Entscheidungsprozesse der Zielgruppe tatsächlich zu verstehen.

  • Personas sind statisch. Einmal entwickelt werden sie oft für Jahre im Unternehmen genutzt und eher selten an sich möglicherweise schnell verändernden Verschiebungen von werten und Einstellungen in dynamischen Märkten angepasst.

Unter meinen Beratungskunden gibt es Marketingverantwortliche, die überzeugt davon sind, dass gute Personas für die Marketingstrategie ihres Unternehmens von unschätzbarem Wert sein können aber schlechte Personas dem Unternehmen schaden können. Dabei sind schlechte Personas solche, die auf wenigen validen Daten beruhen, z. B. weil zu wenige Interviews geführt wurden oder weil man sich vielleicht nur auf die verfügbaren Daten verließ und stattdessen auf subjektiven Annahmen beruhen (Guessing Game). Gute Personas müssen Produktdesigner und Marketingentscheider in die Lage versetzen, ihre Kunden und Zielgruppen sowie deren Bedürfnisse und Einstellungen vollumfänglich zu verstehen (Empathie). Gute Personas sollten alle im Unternehmen dazu motivieren, an guten Lösungen zu arbeiten, die der Zielgruppe helfen, ihre individuellen Herausforderungen zu meistern.


Als BrandDoctor helfe ich Unternehmern, Gründern und Marketingverantwortlichen dabei, ihre wichtigen Marken- und Marketingentscheidungen professionell und Erfolg versprechend zu treffen. Mit innovativen Tools unterstütze ich sie, das wichtige strategische Fundament dafür zu legen, mit ihren Marken nachhaltig erfolgreich am Markt zu agieren.

Über den Autor: Andreas Wiehrdt entwickelt und revitalisiert Marken seit über 20 Jahren. Alleine, als Markenstrategieberater oder im Team mit Experten aus seinem Netzwerk.