Brand-Design im digitalen Zeitalter – Das How-to für Markenmacher (2)

Berlin, den 28.06.2019

Den größten Teil meines Berufslebens war Markenführung und -inszenierung offline. In der guten, alten 360-Grad-Kommunikation hießen die wichtigsten Kanäle über die wir Marken inszenierten klassische Werbung, Direct Marketing, Promotion, Event und PR. Heute denken wir zuerst digital. Und nur die großen Player investieren noch in die nicht-digitalen Kanäle.

Als Markenstratege interessiert mich, was dieser Paradigmenwechsel von offline zu Digital-First für die Entwicklung und das Design von Marken bedeutet. Was müssen wir als Markenmacher heute anders denken und machen, damit wir unsere Marken gerade in den digitalen Kanälen optimal inszenieren können? Wie gestalten wir Marken für den digitalen Raum?

In diesem Beitrag lest ihr, wie der Berlin-Stadthalter von Brody Associates, London, Daniel Borck bei der Entwicklung von Marken für den digitalen Raum vorgeht und was er anderen Gestaltern rät.

Nachdem ich erstaunlich wenig kompetente Literatur zu diesem Thema gefunden habe, kam ich auf die Idee, mal ein paar Experten aus meinem Netzwerk zu fragen. Die kurzen Interviews und vor allen die spannenden Erkenntnisse daraus möchte ich hier in einem mehrteiligen Beitrag vorstellen.

Daniel Borck

Daniel Borck

Daniel Borck, Geschäftsführer, Creative Director und Mitbegründer der Brody Associates Berlin.
Heute spreche ich zu dem Thema mit Daniel Borck, dem Geschäftsführer, Creative Director und Mitbegründer der Brody Associates Berlin [hier], einer internationalen Design-Agentur mit den Schwerpunkten Typography, Identity und Digitales. Daniel hatte uns im letzten Jahr dabei unterstützt, das Branding für die Bezahl-App und Neo-Bank boon. vom Fin-Tech-Unternehmen wirecard weiter zu entwickeln. Nun ist boon. [hier] ja eine Marke, auf die man in erster Linie online trifft und die im analogen Raum so gut wie gar nicht zu finden ist.

BrandDoctor: Danke, dass du dir die Zeit genommen hast, um mit mir über Marken im digitalen Raum zu sprechen, Daniel! Du unterrichtest ja auch an der design akademie berlin Plakatgestaltung, Packaging und crossmediales Corporate Design. Was bringst du deinen Studentinnen und Studenten denn bei, wenn es um Markengestaltung im crossmedialen Raum geht?

Daniel Borck: Ich unterstütze die Studierenden dabei, innerhalb kurzer Zeit eine Reihe von Ideen zu entwickeln, diese gestalterisch umzusetzen, auf ihre Tauglichkeit hin zu prüfen und zur Diskussion zu stellen.

Vorab sollten sie für sich klären, welches Problem es überhaupt zu lösen gilt und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Die Versuchung, gleich den Laptop anzuschalten und zu checken, was andere Designer machen, ist groß. Ich rege die Studierenden an, gründlich zu recherchieren, Begrifflichkeiten zu klären und Ideenskizzen anzufertigen, ganz analog mit Stift und Papier.

«Eine der größten Herausforderungen ist es, visuelle Durchgängigkeit in unterschiedlichen Kanälen zu schaffen.»

Dabei ist es wichtig, mutig zu sein, und sich zu erlauben auch Fehler zu machen. Eine der größten Herausforderungen für die Studierenden ist es, visuelle Durchgängigkeit in unterschiedlichen Kanälen zu gestalten. Und sich damit anzufreunden, dass der kreative Prozess nicht linear ist, sondern oft unordentlich, und weniger glamourös, als viele sich das vorstellen.

BrandDoctor: Eine Marke, wie boon. wird ja am häufigsten über kleine Bildschirme von Smartphones rezipiert, denn boon. ist ja auch eine App. Was machst du anders, wenn du solche Marken entwickelst im Gegensatz zu klassischen Konsummarken für den analogen Raum? Was gilt es bei der Gestaltung solcher digitalen Marken unbedingt zu beachten?

Daniel Borck: Das ist eine gute Frage. Digitale Marken sollen Spaß machen, dem User bei der Lösung einer spezifischen Aufgabe helfen und präsent sein, ohne aufdringlich oder anbiedernd daherzukommen.

Dabei gilt vieles, was auch auf analoge Medien zutrifft: Maximale Reduktion von Komplexität kann bei zahlreichen vergleichbaren Produkten der entscheidende Faktor sein, sich von der Konkurrenz abzusetzen.

«Lesbarkeit schaffst du [im digitalen Raum] nur mit robusten Schriften.»

Mit dem zur Verfügung stehenden Raum muss du im digitalen besonders gut haushalten. Und Lesbarkeit schaffst du – wie in analogen Medien etwa bei schlechter Papierqualität – nur mit robusten Schriften. Vieles lässt sich allerdings nicht einhunderprozentig steuern: Zum Beispiel wie hell sich Benutzer den Screen einstellen. Unterschiedliche Betriebssysteme und Endgeräte erschweren eine konsistente Darstellung der Marke. Und da es im digitalen Raum einfacher und kostengünstiger ist, Anpassungen vorzunehmen, als bei Printprodukten, ziehen sich solchen Projekte gerne in die Länge.

BrandDoctor: Bewegtbild gilt ja als Aufmerksamkeitsfänger in der digitalen Welt. Heißt das aus deiner Sicht, dass sich auch Markenlogos künftig mehr bewegen müssen?

boon. ist eine Marke der Wirecard AG, Aschheim bei München.

boon. ist eine Marke der Wirecard AG, Aschheim bei München.

Daniel Borck: Das ist definitiv der Fall. Wir beobachten ja seit längerer Zeit, den Trend zu liquiden Erscheinungsbildern, bei denen flexibler mit den Marken-Assets umgegangen wird, als wir das aus der Vergangenheit kennen. Früher waren Logos sakrosankt. 

Jetzt gibt es nach wie vor Regeln, aber eben auch mehr Ausnahmen. Bei unserer Arbeit an boon. fanden wir es angebracht mit der Position des charakteristischen Punktes  im Logo zu spielen: So kann aus «boon.» «boon your money.» werden. Dabei bewegt sich der Punkt ans Satzende und deutet an, daß boon. eine ganze Reihe von Angeboten für die User bereithält. Das funktioniert statisch und als Animation mit passendem Sound. 

BrandDoctor: Daniel, der Name deines Geschäftspartners Neville Brody steht ja auch für mutige Typografie-Projekte. Macht es in Zeiten von Pixeln und Responsive Layouts überhaupt noch Spaß, an Typografie zu feilen?

Daniel Borck: Neville Brody hat sich in den 80er Jahren international einen Ruf gemacht mit seinen expressiven typografischen Entwürfen für Magazintitel wie THE FACE. Als Mitbegründer von Fontshop sah er als einer der ersten das Potential, das sich aus der Digitalisierung und der Lizensierung von Schriften ergibt. Die Brody Associates setzen diese Tradition fort. Wir sind offen gegenüber technologischen Entwicklungen und sehen diese als Bereicherung. Jedes Projekt, jedes Medium und jede Branche stellen uns vor ganz spezifische Anforderungen. Auf diese passende Antworten zu finden macht uns Spaß, egal ob Mikro oder Makro.

BrandDoctor: Dann fasse ich nochmals zusammen, Daniel: Visuelle Durchgängigkeit zwischen unterschiedlichen On- und Offline-Kanälen, maximale Reduktion von Komplexität, robuste Schriften und liquide Erscheinungsbilder sind die wichtigsten Stichworte für die Gestaltung von Marken im digitalen Raum. Danke für deinen Input!

Der BrandDoctor führte das Gespräch mit Daniel Borck, Geschäftsführer, Creative Director und Mitbegründer der Brody Associates Berlin .

In weiteren Teilen dieser mehrteiligen Interviewserie unterhalte ich mich unter anderem mit Gunther Weis, dem Mitgründer der Web Guerillas und heutigen Co-Geschäftsführer der Designagentur mattweis in München, Collin Croome, Digital-Entrepreneur, Facebook-Marketing-Experte und Geschäftsführer der eBranding-Agentur coma2 [Interview hier], Jürgen Biefang, Digital-Story-Teller, Video-Producer und Inhaber der Produktionsfirma CLIPPS.TV in München und Felix van de Sand, Co-Gründer und Managing Partner der Münchener User-Experience-Agentur COBE.



Über den Autor: Andreas Wiehrdt entwickelt und revitalisiert Marken seit über 20 Jahren. Alleine, als Markenstrategieberater oder im Team mit seinen Design-Kollegen bei mattweis .

Andreas Wiehrdt

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