Kann OEM-Geschäft der eigenen Marke schaden?

Autor: Andreas Wiehrdt
München, den 24.03.2022
Titelbild: istockphoto.com

Kann OEM-Geschäft der eigenen Marke schaden?


Wo Marke A draufsteht, ist manchmal Marke B drin!
Nicht wenige Markenartikelhersteller vertreiben ihre Produkte nicht nur selbst über den Handel, sondern verkaufen ihre Produkte oder einzelne Komponenten davon zusätzlich auch an andere Markenartikelunternehmen, die diese Produkte oder Komponenten dann unter ihrer eigenen Marke vertreiben. In diesem Fall weiß der Kunde meist nicht, dass das Produkt oder wichtige Teile hiervon in Wahrheit von einem anderen Hersteller produziert wurden.

Für viele Produzenten ist dieses sogenannte OEM-Geschäft (unter Ausschluss der Öffentlichkeit) nicht nur eine begrüßenswerte zusätzliche Umsatzquelle, sondern hilft auch etwa dabei, Produktionsstraßen besser auszulasten, attraktive Mengenrabatte im Einkauf mitnehmen zu können und so insgesamt günstiger produzieren.

Ist es wirklich sinnvoll für Markenartikelhersteller, die eigenen Produkte zusätzlich von anderen Unternehmen unter anderen Markennamen in den Markt bringen zu lassen und sich damit selbst Konkurrenz zu machen? Unter welchen Umständen kann diese Strategie aufgehen und was bedeutet das für die eigene Markenstrategie? Welche Vor- und Nachteile hat so eine OEM-Strategie? Und unter welchen Umständen sollte man eher davon absehen? Darum geht es in diesem Beitrag.

OEM, OBM, TBM, OBL – Was ist der Unterschied?
In Literatur und Praxis zum Thema besteht offensichtlich Uneinigkeit in der Definition und Verwendung der Begriffe. Einigkeit besteht zumindest darin, dass es bei OEM-Geschäft immer einen Originalhersteller, Erstausrüster oder OBM (Own Brand Manufacturer) und einen Vermarkter oder Quasihersteller gibt.

Der Begriff OEM (Original Equipment Manufacturer) wird mal für den Lieferanten des Originalprodukts oder einzelnen Komponenten hiervon, mal für den Abnehmer, der diese Produkte oder Komponenten dann unter seiner Marke in den Handel bringt und mal für die Strategie, unmarkierte Produkte oder Komponenten an andere Unternehmen zu liefern, verwendet.

Der Klarheit wegen möchte ich hier von OEM als Synonym für den Auftragshersteller oder Erstausrüster respektive Zulieferer eines anderen Unternehmens sprechen. Der Unternehmer, der die Produkte oder Komponenten eines anderen Herstellers (OEM) unter seiner eigenen Marke vertreibt, wird bei mir als OBL (Own Brand Labeler) oder TBM (Third-party Brand Marketer) bezeichnet.


Bevor ich hier auf die allgemeinen Vor- und Nachteile einer OEM-Strategie eingehe, möchte ich die Strategie anhand einiger Beispiele veranschaulichen. OEM wird besonders häufig in der Automobil- und Computer-Industrie, aber auch in vielen Dienstleistungssektoren genutzt.

Computer-Hardware-Unternehmen wie Dell EMC, Hewlett Packard Enterprise und Lenovo - alles international bekannte Marken, beziehen einzelne Komponenten von anderen Herstellern und verkaufen komplette Systeme unter ihrer eigenen Marke. Diese Unternehmen beziehen Mikroprozessoren, Festplatten und andere Komponenten von den OEM-Lieferanten. Komponentenlieferanten (OEMs) stellen oft sowohl ein unmarkiertes OEM-Produkt als auch markierte Einzelhandelsversionen ihrer Produkte her. Festplattenhersteller wie SanDisk oder Western Digital bieten etwa die gleichen Festplatten, die sie unmarkiert an Computerhersteller (OBLs) liefern parallel auch in einer markierten Einzelhandelsverpackung mit Zubehör wie Kabeln und Installationsanweisungen über den Einzelhandel für Endkunden an.

Bei einer OEM-Strategie liefert ein Hersteller seine Produkte oder Komponenten hiervon (auch) an andere Unternehmen, die diese Produkte oder Komponenten dann unter deren Marke in den Handel bringen (Abbildung: BrandDoctor).

Automobilhersteller nutzen eine Vielzahl von OEMs, da sie kaum in der Lage wären, die Vielzahl an Komponenten ihrer Fahrzeuge in hoher Qualität selbst zu entwickeln und herzustellen. Bei einigen Komponenten setzen die Fahrzeughersteller sogar auf die Kraft und Attraktivität der Originalherstellermarke (siehe das Beispiel Harman Kardon weiter unten unter der Überschrift Ingredient Branding.)

OEM-Strategien gibt es auch bei professionellen Dienstleistungen. So bietet unter anderem Allianz Assistance unter dieser Marke weltweit Dienstleistungen rund um Mobilität, Reise, Gesundheit und Wohnen und organisiert in Notfällen wie Krankheit, Unfall oder Pannen, Hilfeleistungen an. Dieselben Dienstleistungen und Callcenter nutzen inzwischen viele andere Unternehmen wie Kreditkartenunternehmen, Fluggesellschaften und Automobilunternehmen als OBL unter ihren jeweiligen Marken, als sinnvolle Ergänzung ihrer Angebote.

Literatur zum Thema OEM-Strategie gibt es haufenweise. Mir geht es hier in diesem Beitrag aber darum, die Vor- und Nachteile einer OEM-Strategie aus Sicht des Markenverantwortlichen zu erörtern.

Die OEM-Strategie hat viele Vorteile.

  • Kosteneinsparung beim OEM durch bessere Auslastung vorhandener Produktions-/Personal-/Servicekapazitäten (Economies of Scale).

  • Höhere Stück- und Absatzzahlen beim OEM durch Nutzung der Vertriebswege und -kapazitäten des OBL. Gegebenenfalls könne auch Regionen erschlossen werden, in denen der OEM (noch) keine Vertriebswege hat.

  • Verträge mit OBLs garantieren in der Regel konstant hohe Absatzmengen und liefern dem OEM Planungssicherheit.

  • Das Know-how des OBL in bestimmten Märkten kann zu neuen Produktideen beim OEM führen.

  • Reduzierung der R&D- und operativen Kosten, des Kapitalbedarfs und des Investitionsrisikos beim OBL.

  • Durch den Zukauf von Komponenten oder kompletten Produkten kann der OBL seine Time-to-Market deutlich reduzieren und Nachfrage schneller bedienen.

  • Der OBL profitiert vom Know-how und der Expertise des OEM und kann so unter seiner Marke qualitativ hochwertige Produkte und Lösungen anbieten sowie das Nutzererlebnis steigern.

  • OBL können sich ganz auf den Vertrieb und die Vermarktung der Produkte konzentrieren.

OEM-Geschäft birgt aber auch einige Risiken.

  • Abhängigkeit des OBL vom OEM, sofern dieser kritische Komponenten für das finale Produkt liefert.

  • Abhängigkeit des OEM vom OBL, der i. d. R. Abnehmer hoher Stückzahlen sein wird.

  • Je nach Größe des Zielmarktes macht sich der OEM durch die Belieferung des OBL selbst Konkurrenz.

Ich habe schon für Markenartikelunternehmen gearbeitet, die nur knapp die Hälfte ihrer Umsätze mit markierten Produkten unter ihrer eigenen Marke realisieren. Die andere Hälfte ist OEM-Geschäft. Da die belieferten OBLs größtenteils identische Produkte unter ihrer Marke in dieselben Vertriebskanäle geben, zum Teil sogar zu niedrigeren Preisen, schafft sich der OEM durch diese Strategie mit den OBLs seine eigene Konkurrenz.

OEM-Strategie aus Markensicht unbedenklich.
Aus Sicht des Markenverantwortlichen ist eine OEM-Strategie grundsätzlich unbedenklich, wenn folgende zwei Grundvoraussetzungen geschaffen sind:

  1. Der OBL muss sich verpflichten, Stillschweigen über die Herkunft des Originalprodukts oder der Komponenten zu bewahren (Ausnahme Ingredient Branding).

  2. Das Produkt darf nicht einfach als ein Klon des Originalprodukts erkennbar sein. Gerade, wenn das OEM-Produkt vom OBL günstiger als das markierte Originalprodukt angeboten wird, hätte das negative Folgen für den Absatz des Originals. Schließlich bekämen die Kunden das Original-Markenprodukt so günstiger!

Beispiel für Ingredient-Branding-Strategien (Abbildung: BrandDoctor).

Ingredient Branding – eine Sonderform der OEM-Strategie. Ein Sonderfall der OEM-Strategie ist das sogenannte Ingredient Branding. Hier hat der Erstausrüster/OEM in eine eigene starke Marke investiert, deren Attraktivität sich der OBL zunutze macht, um sein eigenes Produkt hierdurch aufzuwerten. Der Prozessor-Hersteller Intel ist ein Beispiel hierfür. Mit »Intel inside« warben noch bis vor einigen Jahren Laptop-Hersteller wie beispielsweise DELL oder ACER für ihre Produkte. Und mit einer High-Tech-Membran von GORE-TEX lassen sich beispielsweise Outdoorjacken von Arcteryx, Dynafit, Jack Wolfskin und Patagonia überzeugender verkaufen. Interessant ist, dass GORE mit GOREWEAR inzwischen selbst Outdoorbekleidung über den Handel vertreibt und so seinen Membrane-Abnehmern direkte Konkurrenz macht.

Im Automobilbereich ist OEM ja eine gängige Strategie. Automobilhersteller haben Unmengen von Zulieferern, von denen aber die wenigsten wirklich eigene starke Marken sind. Der Hersteller hochwertiger Audiosysteme Harman Kardon ist so eine starke Marke mit hoher Bekanntheit und Attraktivität. Deswegen werben Autohersteller wie unter anderem BMW und Volkswagen auch damit, dass sie hochwertige Audiosysteme des beliebten Herstellers in ihren Fahrzeugen verbauen.

Ingredient Branding – OEM mit Win-Win-Garantie.
Im Grunde ist Ingredient Branding eine OEM-Strategie mit vielen Vorteilen für beide Partner. Ingredient Branding setzt allerdings voraus, dass die OEM-Brand nicht nur hohe Bekanntheit in der Zielgruppe des OBL genießt, sondern dort auch attraktiv und als kompetent sowie qualitativ hochwertig erlebt wird. So kann der OBL sein eigenes Produkt durch hochwertige Markenkomponenten aufwerten und sich einen Wettbewerbsvorteil verschaffen. Der OEM erhält aus Markensicht zusätzlich Kontakte und Reichweite in neuen Zielgruppensegmenten des OBL.

Wer mehr über das Thema Ingredient Branding lernen möchte, dem empfehle ich meine Beiträge »Mit einer Ingredient-Brand-Strategie vom Lieferanten zum begehrten Partner.« und »Eins und eins macht mehr – Wie Marken von Co-Branding profitieren hier im Blog.

Key Take-away:

  • Die OEM-Strategie bietet viele Vorteile, birgt aber auch einige Risiken für beide Partner.

  • Aus Markensicht bestehen kaum Bedenken gegen eine OEM-Strategie, wenn einige Grundvoraussetzungen geschaffen werden.

  • Ingredient Branding ist die Königsdisziplin einer OEM-Strategie, bedingt aber einige wichtige Voraussetzungen.


Der BrandDoctor hilft bei wichtigen Markenentscheidungen mit Tragweite.
Als BrandDoctor helfe ich Unternehmern, Gründern und Marketingverantwortlichen sowie Marken- und Designagenturen dabei, ihre wichtigen Marken- und Marketingentscheidungen professionell und Erfolg versprechend zu treffen. Mit innovativen Tools unterstütze ich sie, das wichtige strategische Fundament dafür zu legen, mit ihren Marken nachhaltig erfolgreich am Markt zu agieren.

Über den Autor: Andreas Wiehrdt entwickelt und revitalisiert Marken seit über 20 Jahren. Allein, als Markenstrategieberater oder im Team mit erfahrenen Spezialisten aus seinem Kompetenznetzwerk.


Wie ich’s mit dem Gendern halte:

Im Interesse einer besseren Lesbarkeit und aus Respekt vor unserer schönen deutschen Sprache habe ich mich dazu entschlossen, in der Regel das generische Maskulinum verwendet. Die Texte beziehen sich aber immer auf Angehörige aller Geschlechter.

Andreas Wiehrdt

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