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Warum Markenstrategie so oft an der Umsetzung scheitern.

Autor: Andreas Wiehrdt
München, den 10.03.2022
Titelbild: iStockPhoto

Wisst ihr, was mich am meisten frustriert an meinem Job? Dass es immer wieder vorkommt, dass ich gemeinsam mit meinen Auftraggebern solide, Erfolg versprechende Markenstrategien erarbeite, die dann aber nie umgesetzt werden.

Da fließt dann eine Menge Zeit, Kompetenz und Ideen aus dem Unternehmen in die gemeinsame Erarbeitung einer fundierten neuen Markenstrategie und das Ende ist ein dickes PowerPoint-Deck, dass dann auf der Festplatte eines Markenverantwortlichen dahindämmert.

Dabei warten die Mitarbeiter in Produktion, Sales und Marketing flehentlich darauf, Klarheit zu bekommen, über die Vision, die Mission, die Ziele für die Marke. Sie möchten besser verstehen, wie sich die Marke im Wettbewerbsumfeld positioniert, erfahren, mit welchem Elavator-Pitch sie Außenstehenden erklären, wie sich die eigene Marke vom Wettbewerb abhebt, mit welcher Tonalität sie künftige Marketingmittel verfassen, welche Persönlichkeit die Marke suggerieren soll.

In meinem Beitrag »Ohne Strategie bleiben Ziele nur Visionen.« habe ich darüber geschrieben, warum es so enorm wichtig ist, Erfolg versprechende Strategien zu entwickeln und umzusetzen, damit Ziele auch wirklich erreicht und Visionen Wirklichkeit werden können.

In diesem Beitrag möchte ich die aus meiner Sicht wichtigsten Hürden für eine erfolgreiche Umsetzung einer neuen Markenstrategie benennen und euch Tipps dazu geben, wie ihr sie niederreißen und so schnell in die Umsetzung kommen könnt.

»Ohne Strategie bleiben Ziele nur Visionen.« Eigentlich eine Binse, aber tatsächlich ist die Angst vor der eigenen Courage oft der größte Feind des Marketingerfolgs.

Die Entwicklung einer neuen Markenstrategie, also die Definition der Ziele, der Vision, der Mission, die Formulierung des Purpose, die Beschreibung der wichtigsten Zielgruppen als Personas, das Finden der besten Value-Proposition, das Schärfen der Positionierung, die Beschreibung der gewünschten Markenpersönlichkeit und der Tonalität usw. erfordern oft große personelle und finanzielle Anstrengungen. So ein Projekt kann bis zu einem Jahr dauern, erfordert Research und einige Workshops mit unterschiedlichen Entscheidern und Stakeholdern aus dem Unternehmen und bindet einiges an Kapazität wichtiger Entscheider im Unternehmen. Und dann passiert mit den entwickelten Strategien – was? – nichts?! Das kann und darf doch nicht sein! Warum ist das so? Was sind die Hürden, die dazu führen können, dass fundierte Erfolg versprechende Markenstrategien nie in die Umsetzung kommen?

Krass: Die Erfolgsquote der Strategieumsetzung ist unglaublich niedrig. Die in wissenschaftlichen Studien ermittelten Misserfolgsquoten reichen von 7 % bis zu 90 %, wobei der Durchschnitt bei etwa 50 % liegt (wie in einem Artikel von Candido und Santos aus dem Jahr 2015 im Journal of Management & Organization berichtet). Auch wenn im Laufe der Jahre eine leichte Verbesserung festzustellen ist, sind solche Misserfolgsquoten nicht besonders zufriedenstellend. Immerhin bedeutet dies, dass jede zweite Strategieinitiative nicht ordnungsgemäß umgesetzt wird.

Um es besser zu machen, müssen wir verstehen, warum dies der Fall ist – warum wir nach Hunderten von akademischen Studien und Tausenden von gescheiterten Strategieprojekten immer noch nicht besser abschneiden. Die einfache Antwort wäre, dass die erfolgreiche Umsetzung einer guten Strategie einfach außergewöhnlich schwierig ist. Aber das keine zufriedenstellende Antwort. Es gibt viele andere Dinge, die außerordentlich schwierig sind, bei denen wir aber trotzdem Erfolg haben.

Deshalb müssen wir zunächst einmal die Probleme verstehen, mit denen Unternehmen bei der Umsetzung ihrer Strategie konfrontiert sind. Wenn wir diese Probleme kennen, verstehen wir auch die Gründe, warum die Strategieumsetzung scheitert, und das hilft uns, Lösungen zu finden.

Die wichtigsten Gründe, warum Markenstrategien nie umgesetzt werden und (ganz am Ende) wie man diese Hürden überkommt.

  • Die neue Markenstrategie ist nicht inspirierend und zwingend genug.
    Das Strategiedokument ist voll von hochtrabenden Zielen und geschliffenen Formulierungen, mit denen niemand etwas anfangen kann. Wenn eure Strategie für die Stakeholder der Organisation (Mitarbeiter, Management, Kunden) nicht verständlich und aussagekräftig ist, können und wollen sie sich nicht damit befassen, und das wohlformulierte Strategiedokument landet in einer der untersten Schubladen.

  • Es mangelt an Ressourcen.
    Markenstrategieprojekte können, wie oben schon beschrieben, je nach Aufgabe, recht umfangreich und ressourcenintensiv werden. Häufig müssen andere Marketingprojekte hierfür zurückgestellt, Budgets umgeshiftet werden. Ist das Markenstrategieprojekt dann endlich abgeschlossen, fehlen die personellen und finanziellen Ressourcen, die eigentlich notwendig wären, um die neue Strategie jetzt in konkrete Maßnahmen zu übersetzen. »Jetzt müssen wir uns erst einmal um die in der Zwischenzeit liegen gebliebenen Projekte kümmern.« oder »Das Budget für die Umsetzungsmaßnahmen müssen wir im nächsten Geschäftsjahr finden.« sind dann die Begründungen dafür, den notwendigen Change-Prozess zur Aktivierung der neuen Strategie zu vertagen.

  • Es wurde kurzsichtig geplant.
    Wenn ich von potenziellen Auftraggeberinnen und Auftraggebern kontaktiert werde, ist das anstehende Markenstrategieprojekt meist schon recht dringlich. Eine neue, bessere Markenstrategie muss her. Das Projekt ist budgetiert und das »Deliverable« ist vorwiegend eine neue Markenstrategie, dokumentiert in Form eines Markenhandbuchs oder eines PowerPoint-Decks. Wenn ich bei der Projektbesprechung die Frage stelle, was man dann mit der neuen Markenstrategie anfangen möchte, wie man die Strategie anschließend umsetzen wird, bekomme ich meist abwiegelnde Antworten in der Richtung »Eins nach dem anderen.«, »Das sehen wir dann.« oder »Jetzt konzentrieren wir uns erst einmal auf die Strategie.« Über die notwendigen nächsten Schritte, die neue Strategie in konkrete Maßnahmen zu übersetzen, will oder kann man zu diesem »frühen Zeitpunkt« noch nicht nachdenken.

  • Die Bedeutung und Notwendigkeit von Change Management wurde unterschätzt.
    »Dann werden wir die Neuerungen auf der anstehenden Weihnachtsfeier verkünden und können so gleich im neuen Jahr loslegen.«, antwortete mir ein Unternehmer auf meine Frage danach, wie es jetzt weiterginge mit dem Projekt. Ein neues Leitbild, neue Ziele, eine neue Vision und Mission, neue Werte, eine neue Positionierung der Marke bedeuten oft tiefe Eingriffe in die Unternehmenskultur und eine Menge an Veränderungen für alle Mitarbeiter. Da reicht es nicht, die Mitarbeiter und Stakeholder nur kurz zu informieren. Wie die Amerikaner sagen »A strategy hast be told and sold.« Wir müssen sicherstellen, dass alle wirklich verstehen, was sich ändern soll und allen die Chance geben, mögliche Verständnisfragen oder Einwände und Bedenken zu äußern und diese adressieren. Bestenfalls muss es gelingen, alle zu motivieren, die neuen Ziele, Werte und Strategien anzunehmen und ihren Beitrag zur Umsetzung zu leisten. Aus Betroffenen Beteiligte machen, nennt man das im Change Management.

  • Man hat Respekt vor der Büchse der Pandora.
    In der griechischen Mythologie besitzt Pandora eine Büchse, die sowohl alle Hoffnung als auch alles Böse dieser Welt enthält. Die Redewendung »Die Büchse der Pandora öffnen« will davor warnen, dass man nicht absehen kann, welche möglichen Risiken eine voller Hoffnung getroffene Entscheidung oder durchgeführte Maßnahme birgt, genauer gesagt, welchen »Rattenschwanz« (noch so eine Redewendung!) an Investitionen und Ressourcen eine solche Entscheidung nach sich ziehen kann. Aber zurück von der Mythologie in die Markenstrategie! Noch während wir an wichtigen strategischen Entscheidungen arbeiten, wie etwa einer schärferen Positionierung oder einer neuen Mission, beginnt man im Unternehmen eine Ahnung davon zu entwickeln, welche Konsequenzen eine solche Entscheidung nach sich zieht. Vielleicht muss man bewusst auf einen Teil der Zielgruppe verzichten? Möglicherweise muss das Produktportfolio angepasst werden? Eventuell muss das Verpackungskonzept neu gedacht, neue Lieferketten aufgebaut werden? Und aus Respekt oder Angst vor den notwendigen Folgen solcher markenstrategischen Entscheidungen, wird das Projekt dann »erst einmal« auf Eis gelegt, auf unbestimmte Zeit verschoben oder »runterpriorisiert«. Aus Angst vor den Konsequenzen wird die Büchse schnell wieder geschlossen, also in diesem Fall die neue Markenstrategie ordnungsgemäß abgelegt und man kümmert sich »zunächst einmal« um andere Projekte mit vermeintlich höherer Priorität.

  • Das Silodenken in vielen Unternehmen.
    Wie schon oben geschrieben hat eine neue, optimierte Markenstrategie meist Implikationen für viele unterschiedliche Abteilungen eines Unternehmens außerhalb der Marketingabteilung, in deren Verantwortung das Strategieprojekt meist liegt. Wurden andere Abteilungen nicht frühzeitig partizipativ eingebunden, sperren sich diese Abteilungen leider häufig gegen notwendige Veränderungen und gefährden damit letztlich den Umsetzungserfolg.

  • Das Verkomplizieren notwendiger Maßnahmen.
    Manchem Auftraggeber wird erst am Ende des Strategieprozesses klar, welchen Rattenschwanz an Maßnahmen die neue Markenstrategie nach sich zieht. Man ist überwältigt und steht wie der Ochs vorm Berg, ist überfordert mit der Komplexität der zur Umsetzung der neuen Strategie notwendigen Entscheidungen und Maßnahmen.

  • Die fehlende Strategiekompetenz.
    Es mag euch verwundern, aber viele Unternehmen sind es einfach nicht gewohnt, sich konkrete Ziele zu setzen, zielführende Maßnahmen auszudenken und deren Effektivität in Bezug auf die Zielerreichung auf dem Weg zu optimieren. Es fehlt schlichtweg an einer Strategiekultur. Ziele werden schwammig, wage und alles andere als messbar formuliert und man vertraut auf die Erfahrung und das Können der Verantwortlichen, um die gesetzten Ziele schon mehr oder weniger zu erreichen.


Und wie lassen sich diese Fehler mit fatalen Folgen verhindern?
Wird eine neue Markenstrategie nicht umgesetzt, war die ganze Arbeit und das Investment in deren Entwicklung vergebens. Wer jetzt einfach wieder zur Tagesordnung übergeht, vergibt große Chancen für die Entwicklung des Unternehmens und erzeugt Frust bei allen Beteiligten. Aber wie lassen sich die oben genannten häufigen Fehler vermeiden?

  1. Weitsichtige Ressourcenplanung
    Das Markenstrategieprojekt ist mit dem neuen Strategiedokument nicht beendet. Die verabschiedete Strategie ist erst das Bergfest des Projekts. In der zweiten Hälfte des Weges geht es darum, die strategischen Entscheidungen in konkrete Maßnahmen umzusetzen, die dann erst die Kraft der strategischen Entscheidungen in Markterfolg verwandeln. Entsprechend sollten auch die Ressourcen geplant werden. Die Umsetzung einer neuen Markenstrategie kann mehr Zeit und Manpower erfordern, als die Strategieentwicklung selbst. Das muss in den Prozess eingeplant sein. Sonst kommt es zu den weiter oben beschriebenen unschönen Überraschungen.

  2. Ausreichende Budgetausstattung
    Die Konsequenzen einer neuen Markenstrategie (unter anderem die Sortimentsumstellung, Änderungen der Marketingmaterialien, die Entwicklung neuer Produkte und Angebote, der Aufbau neuer Lieferketten, Change-Management-Prozesse etc.) können signifikant mehr Budget erfordern, als der Strategieprozess an sich. Aber das Investment in eine neue, bessere Markenstrategie kann sich schnell amortisieren, weil das Angebot an Attraktivität gewinnt, mehr neue Kunden anzieht und die Marketinginvestitionen effektiver werden. Potenzielle »Folgekosten« einer neuen Strategie, sollten von vornherein eingepreist werden, wenn eine Optimierung der Marketingstrategie ansteht.

  3. Angemessene Priorisierung
    Auch wenn die Arbeit an der Optimierung der Markenstrategie scheinbar »nur« ein Marketingprojekt ist, haben die dort getroffenen Entscheidungen meist Auswirkungen auf viele Unternehmensbereiche. So können neben dem Marketing auch die Unternehmenskultur, die Produkt-, Sortiments- und Distributionspolitik von Optimierungen der Markenstrategie betroffen sein. Schon deswegen sollte ein Markenstrategieprojekt eine entsprechend hohe Priorität im Unternehmen erhalten und auf jeden Fall von der Geschäftsleitung auch in diesem Sinne unterstützt und kommuniziert werden.

  4. Professionelles Change Management
    Wie oben geschrieben, zieht eine Optimierung der Markenstrategie auch immer Veränderungen für viele Mitarbeiter und Stakeholder nach sich. Solche Veränderungsprozesse müssen professionell geplant, umgesetzt und begleitet werden, damit sie ihre Erfolgskraft entfalten können. Nichts ist schlimmer, als wenn eine neue, Erfolg versprechende Strategie ihre Kraft nicht entfalten kann, weil die für deren Umsetzung Verantwortlichen nicht ausreichend informiert, befähigt und motiviert wurden. Das auf den Strategieprozess folgende Change Management muss daher schon bei Beginn des Strategieprozesses mitgeplant werden.


Key Take-away:
Wenn ihr diese Tipps bei eurem nächsten Markenstrategieprojekt beachtet, habt ihr alles getan, um das Projekt erfolgreich auf den Weg zu bringen. Klar formulierte Ziele, eine inspirierende Vision, eine motivierende Mission, ein überzeugender Purpose, der alle mitnimmt, gelebte Werte, eine spitze Positionierung, ein überzeugendes Nutzenversprechen an klar definierte Zielgruppen und eine Markenpersönlichkeit, -tonalität und visuelle -identität können so viel bewirken. Aber nur, wenn alle Beteiligten informiert sind, motiviert sind, befähigt wurden und darauf brennen, die neue Marschrichtung in konkrete Maßnahmen umzusetzen.

Warum es unbedingt Sinn macht eine Markenstrategie zu haben oder diese zumindest regelmäßig zu überprüfen und zu optimieren lest ihr in meinem Beitrag: »10 überraschend überzeugende Gründe, noch in diesem Jahr in eure Markenstrategie zu investieren.«

Wie ihr in vier einfachen Schritten zu eurer neuen Markenstrategie kommt, beschreibe ich ausführlich in meinem Artikel »In vier Schritten zur perfekten Markenstrategie: Meine Arbeitsweise.« hier im Blog.

Mehr darüber, wie es gelingt, eure Markenstrategie an die Mitarbeitenden zu bringen, auch in meinem Beitrag »Brand Infusion: Meine fünf Schritte, Mitarbeitende zu passionierten Botschaftern eurer Marke zu machen.« hier im Blog.


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Als BrandDoctor helfe ich Unternehmern, Gründern und Marketingverantwortlichen sowie Marken- und Designagenturen dabei, ihre wichtigen Marken- und Marketingentscheidungen professionell und Erfolg versprechend zu treffen. Mit innovativen Tools unterstütze ich sie, das wichtige strategische Fundament dafür zu legen, mit ihren Marken nachhaltig erfolgreich am Markt zu agieren.

Über den Autor: Andreas Wiehrdt entwickelt und revitalisiert Marken seit über 20 Jahren. Allein, als Markenstrategieberater oder im Team mit erfahrenen Spezialisten aus seinem Kompetenznetzwerk.


Wie ich’s mit dem Gendern halte:

Im Interesse einer besseren Lesbarkeit und aus Respekt vor unserer schönen deutschen Sprache habe ich mich dazu entschlossen, nicht ausdrücklich in geschlechtsspezifischen Personenbezeichnungen zu differenzieren. Die meist gewählte männliche Form schließt aber natürlich eine adäquate weibliche Form oder jede andere Form gleichberechtigt ein.