Wie Markenrituale das Markenerlebnis steigern und den Absatz stimulieren können.

Wie Markenrituale das Markenerlebnis steigern und den Absatz stimulieren können.

München, den 28.09.2021
Überarbeitet: 17.03.2023
Autor: Andreas Wiehrdt
Titelbild: BrandDoctor

Gestern beim Mexikaner um die Ecke: Zusammen mit der Rechnung kommt der Inhaber mit einer Flasche Tequila, einem Teller mit Zitronenscheiben und einem Salzstreuer. Ihr wisst was kam: Handrücken mit Zitronensaft benetzen, Salz drauf, Tequila kippen, Salz ablecken und in die Zitrone beißen. Herrlich!

Aber was hat das Ganze jetzt mit Marketing zu tun? Ganz einfach, ohne dieses Trinkritual wäre Tequila-Trinken nur halb so spannend und würde wohl auch nicht so häufig stattfinden. Und so hat dieses Ritual wohl einen entscheidenden Beitrag dazu geleistet, dass es Marken wie Sauza, Patrón und Jose Cuervo zu den meistgetrunkenen Tequilas der Welt gehören (Quelle: https://www.thespiritsbusiness.com/). Im Jahr 2020 gab es in Deutschland rund 2,34 Millionen Personen, die mindestens einmal pro Monat Tequila konsumierten (Quelle: https://de.statista.com/). Die Tequila-Hersteller mögen mir verzeihen, aber ohne dieses weitverbreitete Salz-Tequila-Zitrone-Ritual, hätte das gewöhnungsbedürftige Algaven-Destillat wohl nie solche Beliebtheit erfahren.

In diesem Beitrag möchte ich die Bedeutung von Ritualen bei der Produktnutzung für die Steigerung des Markenerlebnisses und die Kundenbindung hervorheben. Und ich möchte erklären, wie man als Markenverantwortlicher die Verbreitung solcher Rituale aktiv unterstützen kann.

Was genau sind Rituale im Zusammenhang mit der Nutzung von Produkten?
Ein Ritual im Marketingzusammenhang ist eine nach vorgegebenen Regeln ablaufende Handlung mit hohem Symbol- und Erlebnisgehalt, die an eine bestimmte Marke, ein bestimmtes Produkt oder zumindest an eine bestimmte Produktkategorie gebunden ist.

Ein Ritual ist mehr als nur eine Gewohnheit, die erlernt, automatisch und routinemäßig ist. Gewohnheiten helfen uns, tägliche Prozesse zu vereinfachen und uns Gehirnleistung zu sparen. Rituale fügen einer Handlung eine emotionale Dimension hinzu und geben ihr einen höheren Sinn.

Nehmen wir die einfache Handlung, eine Tasse Tee zu trinken: Im Grunde ist es eine funktionale Tätigkeit, um den Durst zu löschen. Aber Tee ist für viele so viel mehr: Tee ist eine Möglichkeit, einen Freund zu trösten. Tee kann eine kleine Pause im Alltag bedeuten. Tee ist ein soziales Hilfsmittel, beispielsweise wenn man die Schwiegereltern zum ersten Mal begrüßt, gemeinsam ein Familienfest feiert oder Freunde bei sich zu Hause willkommen heißt. Rituale bereiten Freude und fügen dem Konsumprozess eine zusätzliche Erlebnisdimension hinzu. Rituale können auch Trost spenden, Gefühle zum Ausdruck bringen oder die Zugehörigkeit zu einer Gruppe signalisieren.

Beispiele für Rituale.
Über das Salz-Tequila-Zitrone-Ritual hatte ich oben ja schon geschrieben. Kenner dürfen sich übrigens als wahre solche ausweisen, indem sie einen abgelagerten Tequila der Kategorie Gold bestellen und dann mit einer Orangenscheibe und einer Prise Zimt genießen. Von diesem wohl rein deutschen Ritual weiß übrigens in Mexiko niemand.

Das Kleiner-Feigling-Trinkritual im Video.

Aber bleiben wir beim Alkohol und wenden uns dem Klopfen zu. Habt ihr bestimmt schon gesehen (oder selbst gemacht). Dabei werden Partyschnäpse in den kleinen 2-cl-Fläschchen (Kleiner Feigling, Stinkefinger, Vögeln, Ficken, Laber Rhabarber und Konsorten) zunächst einmal mehrmals auf den Tisch geklopft, bevor sie geöffnet und getrunken werden. Inzwischen gibt es mit dem »Kleiner Klopfer« sogar eine Marke, die sich nach diesem bizarren Trink-Ritual benennt und praktischerweise sein Etikett schon mal auf den Kopf gestellt hat. Seinen Ursprung hat das Klopf-Ritual wohl in der Tatsache, dass sich die Blechverschlüsse der Trinkfläschchen leichter Öffnen lassen, wenn die Fläschchen vorher ein paarmal aufgeklopft werden.

»Klopfer« gibt es übrigens auch unter Rauchern. Da wird jede Zigarette zunächst ein paar Mal auf den Filter geklopft, um den Tabak zu verdichten.

Und Erdnüsse werden von vielen auch nicht einfach in den Mund gesteckt, sondern durch die Luft geworfen und mit dem Mund aufgefangen. Wie cool, wenn das immer klappt!

 

Das legendär »Ploppen« einer Flensburger-Flasche ist ein wichtiges Markenritual.

Das vorfreudige »Ploppen« einer Flasche Flensburger ist auch so ein Ritual, dass dazu beigetragen hat, die Biermarke aus Schleswig-Holstein so erfolgreich werden zu lassen. Es wissen nur Kenner der Marke, wie man die Flasche fachgerecht öffnet, damit das zischende Ploppen weithin hörbar wird. Markenliebhabern läuft schon beim bloßen Hören des Plopp-Geräuschs das Wasser im Mund zusammen.

 

Das OREO-Ritual in den Mondelez-Kampagnen.

Die Mondelez-Kecksmarke OREO hat das Potenzial des sogenannten »Twist-Lick-Dunk«-Ritual erkannt und mit einer weltweiten 360-Grad-Kampagne unterstützt. Man hatte festgestellt, dass der spielerische Umgang mit dem Produkt »OREO-People« auf der ganzen Welt verbindet, das Markenerlebnis steigert und die Loyalität zum Produkt in einem hart umkämpften Markt erhöht. Das OREO-Ritual besteht daraus, zunächst die beiden Keksdeckel gegeneinander zu verdrehen, um so die süße Füllung freizulegen. Dann leckt man ein wenig von der Füllung ab, klebt die beiden Hälften wieder aneinander und tunkt das OREO anschließend in ein Glas frische Milch, bevor man es aufisst (siehe TV-Kampagne links).

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Das Corona-Ritual. Limettenspalte in die Trinköffnung stecken (Foto: Photo by Michal on Unsplash).

Ein Corona-Bier schmeckt erst richtig gut, wenn man die Flaschenöffnung vorher mit einer Limettenspalte eingerieben hat. Die wenigsten, die dieses Ritual heute nutzen wissen wahrscheinlich, dass die Limette früher einmal der Desinfektion der Trinköffnung diente. Diejenigen, die es wissen, können Kennerschaft beweisen. Übrigens auch die, die darauf verzichten, die Limette in die Flasche zu drücken, wie es die meisten wohl tun. Ein absolutes No-Go für echte Kenner!

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Die Jägerbombe ist ein weiteres Trinkritual, das dazu geeignet erscheint, den Absatz zu forcieren (Foto: Screenshot).

Die »Jäger-Bombe« ist auch so ein weltweit verbreitetes Trinkritual. Dabei wird ein Shotglas mit Jägermeister in einem Glas Red Bull auf verschiedene Art und Weise versenkt. der Kreativität der Barkeeper sind hier keine Grenzen gesetzt. Findige Anbieter haben sogar spezielle »Gläser« hierfür entwickelt.

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Lunchables von Kraft Foods erlauben ein bequemes Zubereitungsritual Foto: https://www.change.org/).

Mit seinen Lunchables hat Kraft Foods ein Snack-Produkt entwickelt, dass ein Zubereitungsritual erst ermöglicht. Dabei werden runde Cracker mit je einer Scheibe Käse und Schinken belegt. Fertig ist der »selbst gemachte«, »frisch zubereitete« Mittags-Snack! Hätte man sicher auch fertig abpacken können, aber so machts mehr Spaß!

 
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Auch das Zusammenbauen von IKEA-Möbeln ist Teil eines Markenrituals (Foto: Photo by Semen Borisov on Unsplash).

Markenrituale können aber auch subtiler sein. So ist beispielsweise das Kaufen, im eigenen Auto nach Hause fahren und gemeinsame Aufbauen von IKEA-Möbeln auch so ein Ritual, in dessen Verlauf eine Reihe emotionaler Markenerlebnisse erzeugt werden. Und vielleicht gehört das Snacken eines IKEA-Hot-Dogs nach erfolgreichem Einkauf auch dazu.

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Auch der berühmte Swipe bei der Dating-Plattform Tinder ist ein Ritual (Foto: https://blog.photofeeler.com/).

Rituale lassen sich auch in digitale Produkte einbauen. So ist der sogenannte Swipe bei der Moble-Dating-App Tinder auch ein Ritual. Nach links wischen bedeutet »Nope« und ein vorgeschlagener Kontakt ist abgewählt, nach rechts swipen und ein Bewerber wird zum potenziellen Kandidaten für ein Date.

Die 3-stufige Reinigungsroutine von Clinique macht es Kundinnen leichter, die Produkte in der richtigen Reihenfolge einzusetzen (Foto: Screenshot).

Die Kosmetikmarke Clinique entwickelte eine dreistufige Gesichtsreinigungsabendroutine für Frauen und die entsprechenden Produkte dafür, die es den Kundinnen leicht machen, die Reihenfolge des Reinigungsrituals einzuhalten und keine Komponente zu vergessen.

Wie und warum funktionieren Markenrituale so gut?
Produktrituale befriedigen grundlegende menschliche Bedürfnisse: Der Wunsch nach Kontrolle, das Bedürfnis als Kenner zu gelten und der Wunsch, seine Individualität auszudrücken und das Bedürfnis dazu zu gehören.

Rituale geben dem Kunden die Möglichkeit, eine aktive Rolle im Produkterlebnis- und -gebrauchsprozess zu spielen. Der Kunde kreiert, reproduziert, optimiert und kontrolliert sein eigenes, freudiges und befriedigendes Markenerlebnis. Ich möchte wetten, viele Tequilas wären nie getrunken worden, wäre es nicht um das Ritual gegangen.

Rituale können ein Gefühl von Zugehörigkeit erzeugen und verbinden Produktnutzer zu wahren Fangemeinden. »Klopfer« und »OREO-Lecker« erkennen sich sogar über Kulturen hinweg. Willkommen im Klub!

Über Rituale können Kunden Kennerschaft beweisen. So kann es sehr befriedigend sein, einen Neuen in ein neues Ritual einzuweisen und es stärkt das Selbstbewusstsein, wenn man ein Ritual kennt und richtig ausführen kann.

Mit Ritualen können Verbraucher darüber hinaus ihre Individualität und Kreativität betonen und Ausleben.

Das alles sind gute Gründe, warum Kunden i. d. R. bereit sind, für ritualisierte Produkte mehr Geld auszugeben als für andere.

Rituale können helfen, eine bestimmte Marke Top-of-Mind in ihrer Kategorie werden zu lassen.

Rituale können in vier Hauptkomponenten unterteilt werden:

  1. Das Skript:
    Es beschreibt detailliert die Schritte, was, wann, warum und wie das Ritual durchgeführt wird.

  2. Die Artefakte:
    Die Gegenstände, Produkte, Dienstleistungen und Marken, die zur Durchführung des Rituals verwendet werden. Manche Gegenstände können eine besondere Bedeutung bekommen, wie z. B. der mit unserem Namen beschriftete Becher bei Starbucks

  3. Die Durchführung
    des Rituals: schauspielerisch, schriftlich oder mündlich. Um bei Starbucks zu bleiben: Die theatralische Art, wie wir nach unserem Namen gefragt werden, wie unsere Bestellung lautstark an die Barista weitergegeben wird und wie wir mit unserem Namen aufgerufen werden, wenn unser Kaffee fertig ist.

  4. Das Publikum.
    Ein Ritual kann für sich selbst, für und mit Freunden oder für ein größeres Publikum durchgeführt werden.

Wie man Rituale entwickeln, etablieren und unterstützen kann.
Und hier ein paar Tipps, wie ihr Rituale für euer Produkt oder eure Produktkategorie entwickeln und vorschlagen könnt:

Zunächst einmal solltet ihr eure Nutzer/Verbraucher bei der Nutzung eurer Produkte und Services genau beobachten. Consumer Insights sind hier (wie, so oft) der Schlüssel. Sucht nach Möglichkeiten, bestehende Gewohnheiten und Verhaltensweisen zu erforschen und zu beobachten und ein tiefes Verständnis für die Bedeutung dahinter zu gewinnen. Beobachtet, wie Verbraucher mit eurem Produkt interagieren und sich verhalten. Verwenden eure Kunden das Produkt bereits auf neuartige oder überraschende Weise (d. h. auf eine Weise, für die es eigentlich nicht vorgesehen ist)?

Viele Rituale tauchen zunächst in den sozialen Netzwerken auf. Die besten Rituale sind die, die von Nutzern selbst entwickelt oder entdeckt werden. Euer Job ist, diese Rituale ggfs. zu optimieren und in die Welt zu tragen.

Haltet das Ritual kurz, aber lasst eine intensive Personalisierung zu. Wenn das Ritual zu aufwendig ist, besteht die Gefahr, dass viele Verbraucher das Interesse verlieren.

Lasst Individualisierung zu. Möglichkeiten zur individuellen Abänderung von Ritualen helfen, die Kreativität der Nutzer auszudrücken. So trinken viele »Klopfer« ihren Kleinen Feigling, indem sie das Fläschchen mit den Lippen aufnehmen und ohne Zuhilfenahme der Hände durch Neigen des Kopfes kippen. Andere kleben sich beim Trinken den Deckel des Fläschchens mit Spucke auf die Stirn. Bekloppt, macht aber scheinbar Spaß.

Stimuliert Rituale durch Social-Wettbewerbe und -Challenges. Rituale bieten sich ideal an, um euren Kunden in den sozialen Kanälen Herausforderungen zu stellen. Aus welcher Entfernung kann eine Erdnuss noch mit dem Mund aufgefangen werden? Wieviele OREOs lassen sich in 60 Sekunden aufdrehen? Wer baut das IKEA-Billy-Regal am schnellsten auf?

Zusammenfassung:

  • Rituale verbessern das Marken- oder Produkterlebnis.

  • Rituale helfen, eine bestimmte Marke oder ein bestimmtes Produkt in seiner Kategorie herauszuheben.

  • Rituale können sogar der primäre Konsumanlass werden und so den Absatz signifikant erhöhen.

  • Rituale lassen sich für viele Produkte aktiv entwickeln und über geschickte Markenkommunikation medial forcieren.

Mehr zum Thema Markenerlebnisse und wie man sie im Marketing sorgfältig kuratieren kann, auch in meinem Beitrag »Wie ihr Markenerlebnisse strategisch nutzt, um eure Marke zu stärken?« hier im Blog.


Als BrandDoctor helfe ich Markenverantwortlichen unter anderem dabei herauszufinden, ob und wie sich das Markenerlebnis durch die Entwicklung und Stimulation von Ritualen steigern lässt. Ich helfe dabei, über geeignete Consumer-Insights-Maßnahmen Ansatzpunkte für Rituale zu finden und die richtigen Strategien zu entwickeln, solche Rituale absatzwirksam zu etablieren und zu stimulieren.


Andreas Wiehrdt

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